Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seelenleser

Der Seelenleser

Titel: Der Seelenleser
Autoren: Harper Paul
Vom Netzwerk:
leicht esoterisch. Kompliziert. Aber andererseits war es auch künstlerisch, irgendwie genial. Und für die ausgewählten Situationen, in denen es funktionieren könnte, war es eine brillante Lösung, einfach perfekt.
    Sein Vorschlag wurde jedoch in unserem Unternehmen äußerst kontrovers diskutiert. Um mich kurz zu fassen: Wir haben ihn angestellt, genauso wie wir es mit vielen anderen mit seinem Hintergrund getan haben, und wir haben ihm Aufträge von sehr wichtigen Kunden gegeben, während wir über sein Angebot gestritten haben.«
    Das war eine interessante Enthüllung. Vector erwog, einen Mörder zu beschäftigen? Und auch das » wir« war bezeichnend. Falls mein Gesprächspartner bei Vector eine Position innehatte, die es ihm erlaubte, an einer internen Diskussion darüber teilzunehmen, ob ein Mörder angeheuert werden sollte oder nicht, dann hatte er es geschafft, mich zu beeindrucken. Er hatte dann in diesem weltweit operierenden Unternehmen auf jeden Fall einen der höchsten Ränge, er war einer von vielleicht einem halben Dutzend Leuten an der Spitze, falls es überhaupt so viele waren.
    » Ich war auf der Seite derjenigen, die sich dagegen ausgesprochen haben. Aber wir wurden überstimmt. Die Leute, die sich durchgesetzt hatten, wollten allerdings von dem Kerl zuerst Beweise sehen. Da er seine Fähigkeiten bislang nur unter diesen besonderen Bedingungen eingesetzt hatte, verlangten sie von ihm, dass er zeigen sollte, dass es ihm auch unter › normalen‹ Umständen gelingen konnte. Und er hat zugestimmt, es ihnen vorzuführen. Er hatte bereits länger an einem bestimmten Auftrag gearbeitet und wusste, dass die Frau dieser Person einen speziellen Arzt aufsuchte. Er überprüfte die Ehefrau und eine weitere Frau. Er könne sie verwenden, sagte er. Unglaublicherweise gaben unsere Leute ihm grünes Licht.«
    Der Mann hielt inne. Als er weitersprach, konnte ich an seiner Stimme hören, dass er einen langen, tiefen Zug aus seiner Zigarette genommen hatte. Ich sah ein kleines Rauchwölkchen aus dem Beifahrerfenster von Shens Land Rover aufsteigen.
    » Wenn ich hier kurz einhaken darf«, sagte ich. » Darf ich Sie so verstehen, dass Sie sich grundsätzlich gegen die Art der Arbeit dieses Mannes ausgesprochen haben, oder waren Sie nur gegen diese spezielle Technik?«
    Das war eine gewaltige Frage. War er dagegen, dass Vector sich eine Abteilung von Mördern hielt, oder hatten sie schon eine, und lehnte er nur die Art und Weise ab, wie Kroll vorging?
    Doch die Frage war anscheinend zu direkt, denn er ignorierte sie.
    » So begann es«, fuhr er fort. » Falls bei der Geschichte etwas schiefging, sollte auf uns kein Verdacht fallen. Deswegen verschwand er verabredungsgemäß. Wir gaben vor, schockiert zu sein. Bestürzt, wenn Sie so wollen. Unsere Vorstandschefin traf sich mit ihrer Kontaktperson im Aufsichtsrat und überbrachte die schlechte Nachricht. Wir organisierten zum Schein eine Großfahndung, die wir auch mehrere Monate lang durchzogen, bis wir sie irgendwann wieder in den Hintergrund rücken ließen.«
    » Dann kannte Ihr Aufsichtsrat die wahre Geschichte dahinter gar nicht?«, fragte ich.
    Er machte wieder eine kurze Pause, wahrscheinlich um nachzudenken, was er preisgeben könnte. Ein Gespräch wie dieses war ein Seiltanz. Ein Fehltritt hätte fatale Folgen.
    » Wir hatten sechs Monate lang keinen Kontakt zu ihm«, fuhr er fort, als hätte er meine Frage nicht gehört. » Er hatte sich an die Frau herangemacht, und wir warteten ab, ob das Ergebnis so sein würde, wie er uns versprochen hatte.«
    Ich konnte kaum glauben, was er sagte, und ich konnte erst recht nicht glauben, dass er es mir tatsächlich erzählte. Wieder machte er kurz Pause, und wieder stieg Rauch aus dem Fenster des Land Rovers auf.
    » Dann nahm Moretti plötzlich Kontakt mit seinem Freund bei uns auf, und wir erfuhren, dass jemand– in diesem Fall Sie– hinter dem Kerl her war und von dessen Verbindung zu uns wusste. Ich hatte und habe immer noch keine Ahnung, wer Sie sind. Ich wusste nicht und weiß immer noch nicht, warum Sie hinter dem Kerl her waren, und es ist auch egal. Für uns war er jetzt radioaktiv, ein Unglück, das nur darauf wartete, irgendwann stattzufinden. Ich habe meine Leute angewiesen, bei ihm den Stecker zu ziehen.«
    Wieder so eine Zweideutigkeit. Was hatte ich in Ryan Krolls Haus in der Nacht gesehen, als er getötet wurde?
    Während ich meine Gedanken sammelte und über eine Möglichkeit nachdachte, wie ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher