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Der Seelenleser

Der Seelenleser

Titel: Der Seelenleser
Autoren: Harper Paul
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gebraucht, um die ganze Geschichte mit Vera List aus meinem Kopf zu bekommen. Nachdem ein Auftrag beendet ist, dauert es immer eine Weile, bis man sich wieder umgestellt hat. Eine Zeit lang ist der Auftrag dein ganzes Leben, und plötzlich ist er es nicht mehr. Veras Martyrium hatte nur eine Woche angedauert– eine kurze und gleichzeitig endlose, eine intensive Woche. Und doch schien es mir, gemessen an der Zeit, die ich für den Auftrag gebraucht hatte, unverhältnismäßig lange zu dauern, bis ich drüber hinweg war. Die ganze Geschichte war zu verstörend gewesen.
    In der Zwischenzeit hatten Roma und ich andere Projekte bearbeitet, doch wir gingen dabei etwas vorsichtiger vor und achteten noch mehr auf die Nuancen, die zwischen den Zeilen zu lesen waren. Shens Anruf war eine unliebsame Rückbesinnung auf das, was vor drei Monaten passiert war.
    » Jemand?«
    » Er sagt, dass es eine wichtige Person sei. Einer von den oberen Chargen. Er möchte ein Treffen vereinbaren.«
    » Warum sollte ich darauf eingehen?«, wollte ich wissen. Hatte ich doch ohnehin schon das Gefühl, die Sicherheit meiner Anonymität gegenüber diesen Leuten hinge an einem seidenen Faden.
    » Antworten, sagt er.«
    » Und warum sollte er mir Antworten geben wollen?«
    » Ich weiß es nicht, Marten. Aber willst du keine haben?«
    Darauf hatte er keine Erwiderung verdient. Doch Shen wartete. Er war in einer verzwickten Position. Er kannte beide Seiten dieses heiklen Arrangements und hielt die Identität aller Beteiligten vor den jeweils anderen geheim. Indem wir ihn als unseren Mittelsmann gewählt hatten, zeigten wir dem anderen, dass wir ihm vertrauten. Shen würde mich mit der Sache nicht behelligen, wenn er nicht glauben würde, dass es wichtige Gründe dafür gab. Shen wartete. Er kannte mich gut und wusste, was ich nach einer kurzen Bedenkzeit sagen würde.
    » Ich bestimme die Sicherheitsvorkehrungen«, sagte ich.
    » Kein Problem.«
    Das Treffen fand zwei Abende später an der Powell Street statt, an einer Stelle, wo die Straße steil in Richtung Market Street abfiel. Shen und ich hatten diesen Ort schon in ähnlichen Situationen verwendet, und er kannte die Routine. Ich befand mich bereits auf meinem Parkplatz ein Stück den Berg hinauf, als Shens Geländewagen aus einer Seitenstraße weiter unten auf die Powell abbog und unter einer Reihe Birkenfeigen am Straßenrand parkte.
    Der Mann, mit dem ich mich treffen würde, hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, obwohl er davon ausgehen konnte, dass ich irgendwo in der Nähe war. Mein BlackBerry summte. Shen sagte mir, dass er das verschlüsselte Telefon an den Mann im Beifahrersitz weitergeben würde. Dann herrschte kurz Stille, und ich konnte Shen sehen, wie er aus seinem Land Rover ausstieg und schräg über die Straße ins Roxanne Café ging, wo er während unserer Unterhaltung bleiben würde.
    » Sind Sie einverstanden?«, fragte der Mann. Seine Stimme war ein sanfter Bariton ganz ohne Anspannung.
    » Absolut.«
    » Die gegenseitige Anonymität passt mir ganz gut«, sagte er. » Sie lässt sich auch besser aufrechterhalten, falls wir beide das gleiche Ziel haben sollten.«
    Ich konnte mit der Bemerkung nicht sofort etwas anfangen, und er gab mir auch nicht die Zeit, darüber nachzudenken.
    » Meine Leute nehmen an, dass der Verstorbene Computer in seinem Besitz hatte und dass sie jede Menge Informationen über unser Unternehmen enthielten. Informationen, die uns gefährlich werden können.«
    Er machte eine kurze Sprechpause, falls ich irgendetwas bestätigen wollte. Ich wollte nicht.
    » Als dieser Kerl zu uns kam, bot er uns eine ziemlich… außergewöhnliche Fähigkeit an«, sagte der Mann. » Sie wissen, wovon ich rede? Also nicht nur seinen Hintergrund und seine Ausbildung. Wir haben jede Menge solcher Leute. Aber er hatte etwas Besonderes im Angebot.«
    Er zögerte. » Ich weiß nicht, wie viel Sie wissen…, was Sie aus seinen Rechnern herausgeholt haben. Können Sie mir folgen?«
    » Was seine außergewöhnlichen Fähigkeiten betrifft?«
    » Mmm-hmm.«
    » Sie meinen seine Experimente?«
    » In einem anderen Land, genau.«
    » Ja.« Die verschleierte Sprache sorgte dafür, dass alles diffus blieb, wir waren wohl beide nicht gewillt, Klartext zu reden. Eine gewisse Paranoia, die wie ein leichtes Fieber an einem hängt, gehört in unserem Berufsstand einfach dazu.
    » Nun, in Ordnung, jedenfalls bot er uns das an. Natürlich war das nichts für alltägliche Situationen. Es war
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