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Der Seelenleser

Der Seelenleser

Titel: Der Seelenleser
Autoren: Harper Paul
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Hören Sie, Herr Fane«, sagte sie dann. » Ich weiß nicht genau, worum ich hier bitte, aber es scheint mir, dass es einen Weg geben müsste, diesen Mann aufzuhalten, ohne dass meine Klienten mitbekommen, dass ihre Akten eingesehen wurden. Eine Möglichkeit, dies so zu lösen, dass niemals jemand erfährt, dass es überhaupt geschehen ist.«
    Die Spannung, unter der sie stand, war beinahe mit Händen zu greifen.
    » Auch ich lebe mit Geheimnissen«, fuhr sie fort. » Es ist so ähnlich wie bei Ihnen. Ich höre sie mir jeden Tag an. Ein halbes Dutzend Leben enthüllen sich mir jeden Tag, Jahr für Jahr, weil ich diese Geheimnisse für mich behalte. Falls ich das aufdecken würde, was mir im Vertrauen erzählt wird, würden sich diese Leben anders entfalten. Möglicherweise tragisch.«
    Sie richtete ihre dunklen Augen auf ihn.
    » Was dieser Mann macht, ist ein weiteres Geheimnis, das ich gern für mich behalten würde«, sagte sie, » aber dabei brauche ich Hilfe.«
    Vera List fragte nicht um Rat, ob sie das Richtige tat. Es schien Fane, dass sie trotz ihrer offensichtlichen Angst bereits beschlossen hatte, dass ihr keine andere Wahl blieb.
    » Ich weiß, dass Sie erkannt haben, dass das, was Sie hier tun wollen, eine ernste Sache ist«, sagte er, » aber es gibt noch einiges, das Sie bedenken sollten, bevor Sie den nächsten Schritt tun. Als Allererstes: So etwas funktioniert nie genau so, wie man es sich vorgestellt hat«, sagte Fane. » Ganz gleich, wie clever man an eine Sache herangeht, wie gut man sie plant: Es gibt immer eine unliebsame Überraschung. Und wenn diese Überraschung aus dem Ruder läuft, wird sie Sie zerstören. Sie sollten ebenfalls wissen, dass Sie sich einigen äußerst komplizierten rechtlichen Problemen aussetzen, falls Sie diesen Weg einschlagen.«
    Vera hob trotzig das Kinn. Doch Fane winkte ab.
    » Ich bin kein Rechtsanwalt«, sagte er, » aber ich gehe davon aus, dass Sie, in dem Sie weiterhin diesem Mann den Zugriff auf Ihre Akten ermöglichen, bewusst eine Verletzung der Privatsphäre Ihrer Klienten erlauben. Falls er als Ergebnis dessen, was er illegal aus Ihren Unterlagen liest, ein Verbrechen begeht, machen Sie sich angreifbar für eine Anklage wegen Beihilfe.
    Falls Sie glauben, dass der Mann die Informationen in Ihren Fallakten für kriminelle Zwecke verwenden will und Sie das nicht den Justizbehörden melden, machen Sie sich angreifbar für eine Anklage wegen Zurückhaltung von Wissen über kriminelle Absichten.«
    » Aber wenn es nur ein Verdacht ist…«
    » Und falls Sie glauben, dass diese Frauen in Gefahr sind, und sie nicht warnen beziehungsweise das Geschehen nicht den entsprechenden Behörden melden, besteht die Möglichkeit, Sie wegen strafbarer Fahrlässigkeit anzuklagen, wenn nicht sogar wegen Verdunkelung.«
    Sie sagte nichts. Das war genau das Gegenteil von dem, was sie geglaubt hatte, von ihm zu hören zu bekommen. Sie schloss die Augen.
    Fane bemerkte die leichte Veränderung im Heben und Senken ihrer Brust, die subtile Bewegung ihrer Augenbraue. Wie viele andere Frauen hatten in der langen Geschichte dieses Hotels schon in anderen regnerischen Nächten an diesen Fenstern gesessen und mit den verwirrenden Umständen ihrer jeweiligen Lebensgeschichte gerungen?
    Sie öffnete die Augen wieder. » Sie haben das Wort › angreifbar‹ mehrfach verwendet. Keine dieser Konsequenzen muss eintreten, richtig?«
    » Das stimmt.«
    Sie betrachtete ihn mit einem neuen ruhigen Interesse.
    » Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Sie eine sehr verschlossene Person sind.« Sie stand auf und trat ans Fenster. Sie lehnte eine Schulter gegen den Fensterrahmen, verschränkte die Arme und schaute in die nasse Nacht hinaus. Das perlgraue Strickkleid zeigte eine elegante Linie von der leicht gebeugten Hüfte bis zur Hälfte der Wade hinunter.
    » Falls ich zur Polizei gehe«, sagte sie und drehte sich zu ihm hinüber, » wird dieser Mann gefasst, es kommt zu einer öffentlichen Verhandlung. Sie werden meine Unterlagen beschlagnahmen. Meine Klienten sind zu reich, zu hübsch und zu weit oben in der Gesellschaft, es wird garantiert Lecks geben, die Identität der beiden wird bekannt. Tröpfchenweise werden Teile ihres Lebens ans Licht kommen. Aus den Tropfen wird eine Flut, und die Medien werden eine Hetzjagd veranstalten, wie sie uns inzwischen von vielen anderen Beispielen nur zu bekannt ist. Zwei weitere Leben werden säuberlich ausgeweidet, um das Publikum à la mode zu
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