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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition)
Autoren: Chris Moriarty
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auf, warf einen Stapel IWW -Rundbriefe um, die ihrerseits Großvater Kesslers vierzehnbändige gesammelte Werke des Maimonides zum Einsturz brachten, worauf Bekas Schulbücher ins Rutschen gerieten und der obenauf liegende Gemeinschaftskunde-Aufsatz in der Suppe landete.
    »Adieu, auf Wiedersehen«, verabschiedete sich Mordechai und floh vor einer neuen Familiendiskussion, in der es nun darum ging, wie man die Suppenflecke von Bekas Aufsatz und den Geschmack des Gemeinschaftskundeheftes aus der Suppe bekam. »Ich wäre ja gern geblieben und hätte euch geholfen, aber die Premiere ist Sonntag und die Aufführung muss klappen!«
    Die übrige Familie bemühte sich in den folgenden Minuten, die Suppe von Bekas Aufsatz wegzutupfen und die feuchten Seiten zum Trocknen auf die Feuerleiter zu hängen. Dann lauschte man der Diskussion von Mo Lehrer und Großvater Kessler über die Frage, ob Pentacle-Kopiertinte koscher sei oder nicht. Keine leichte Frage, wenn man bedachte, was zu ihrer Herstellung alles verwendet wurde.
    Erst als die Suppe plötzlich überkochte, schaute Saschas Vater mit besorgter Miene auf und fragte:
    »Wo bleibt eigentlich eure Mutter?«

3   Späher im Schatten
    Mr Kessler ließ sein Buch fallen, sprang vom Stuhl auf und eilte hinaus, ehe Sascha überhaupt wusste, wie ihm geschah.
    Husten hin oder her, Saschas Vater lief im Eilschritt die steilen Treppen hinunter. Sascha stolperte ihm hinterher und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, um im finsteren Treppenhaus nicht zu stolpern. Hinter ihm keuchte Mo wie eine Dampflokomotive, blieb ihm aber den ganzen Weg die Treppe hinab und über den Hinterhof auf den Fersen.
    Als die beiden an den Außentoiletten vorbei waren und schon die Wasserpumpe sahen, kam ihnen Mr Kessler bereits wieder entgegen. Ein Blick ins Gesicht seines Vaters sagte Sascha, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste.
    »Was ist los?«, fragte er.
    Sein Vater wies auf ein Brett neben der Pumpe. In krakeligen, mit Kreide geschriebenen Großbuchstaben, die der Regen langsam wegwusch, standen dort zwei Wörter:
    PUMPE KAPUTT
    »Sie muss anderswo Wasser holen gegangen sein«, sagte Mr Kessler kopfschüttelnd. »Ohne unsere Begleitung. Jede vernünftige Frau hätte sich begleiten lassen. Aber was hilft’s, wir müssen uns getrennt auf die Suche machen, sonst finden wir sie nie.« Er warf Sascha einen ernsten Blick zu: »Und du gehst besser nach Hause.«
    »Ich bin doch kein Kind mehr!«, protestierte Sascha. »Ich komme mit!«
    Sein Vater schaute ihn erstaunt an, dann zuckte er nur mit den Schultern. »Na schön. Aber du bleibst bei Mo. Ich möchte nicht, dass du auch noch verloren gehst. Schaut ihr beide an der Pumpe in der Canal Street. Ich suche das übrige Viertel ab.«
    Die Canal Street glänzte schwarz und silbrig im Mondlicht. Es regnete nun stärker. Ein schwerer, erdiger Geruch stieg von den Gehwegen auf und erinnerte daran, dass es tief unter dem Asphalt der City noch fruchtbares Erdreich gab.
    Die Hälfte der Straßenlaternen war zerbrochen und das für New York charakteristische Nebeneinander von jüdischen, chinesischen und italienischen Läden schien im Reich der Geister und Schatten zu liegen. Wu Weis Tausenddrachen-Akupunkturpraxis nebst angeschlossener Glücksberatung hatte geschlossen.
    Im Café Napoli und dem sonst Tag und Nacht geöffneten Waschsalon Lucky Laundry ( FRISCHE SOCKEN , NEUES GLÜCK !) waren die Rollläden heruntergelassen. Sogar Rabbi Kesslers Erdgeschoss-Synagoge war menschenleer, von seinen Schülern, die hier oft noch lange auf den Eingangsstufen beisammenstanden und über die Kabbala diskutierten, war nichts zu sehen.
    Sascha hatte anfangs ehrlich versucht, auf Mo zu warten, wie sein Vater ihm gesagt hatte. Aber nach einem halben Häuserblock hielt er es nicht länger aus. Er wollte auf die Mitte der Straße wechseln – was nachts immer noch am sichersten war, denn man wusste nicht, wer hinter den Müllbergen der Gehwege lauerte – und dann losrennen.
    Als er vom Bordstein auf die Straße trat, knirschte Glas unter seinem Fuß. Scherben einer zerbrochenen Zauberspruchflasche lagen auf den Pflastersteinen, der Aufkleber mit dem fünfzackigen Stern der Pentacle Industries war auch im Dunkeln zu erkennen. Er wusste genau, wie sich seine Mutter bei diesem Anblick aufregen würde über J.P. Morgaunts Monopol und darüber, wie Menschen nur glauben könnten, ihr Glück in einer Zauberspruchflasche zu finden, und ob sie sich das nur einbilde oder ob
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