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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition)
Autoren: Chris Moriarty
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lag, war Sascha unerfindlich. Er hatte sich einmal sogar heimlich etwas von dem Tigerhaarwasser genommen, das Mordechai von einem befreundeten Zauberer aus Chinatown erhielt. Vergebens. Onkel Mordechai hatte ein Flair, das es nicht in Zauberflaschen abgefüllt zu kaufen gab.
    »Wenigstens ist Inquisitor ein Beruf«, befand Saschas Vater, ohne von seinem Buch aufzublicken. »Das ist etwas, was gewisse Familienmitglieder nicht von sich behaupten können. Hör doch bitte auf, mit dem Stuhl zu kippen, Mordechai. Wir haben nur drei Stühle und zwei davon hast du schon beschädigt.«
    Onkel Mordechai lehnte sich daraufhin aber nur noch weiter nach hinten und legte die in spitzen Schuhen steckenden Füße großspurig auf den Küchentisch, damit jeder sah, dass er sich um banale Dinge wie Stühle nicht sorgte. »Ich verfolge zwei Karrieren«, verkündete er und balancierte dabei kurz vor dem Absturz. »Ich bin ein Mann der Feder und der Bühne. Wenn mir beides finanziell nichts einbringt, so liegt das am mangelnden Kunstverständnis der Welt!«
    »Das ist jetzt nicht so wichtig, Mordechai.« Saschas Mutter rührte nun im Kochtopf mit der Matzenknödelsuppe, die auf dem Herd weiterköchelte. Dann versicherte sie sich, dass Großvater Kesslers Spazierstock noch immer an der richtigen Stelle steckte, um die Ofenklappe zuzuhalten, hinter der ihr Brot backte. »Wichtig ist, dass unser Sascha Inquisitor wird.«
    Mrs Kesslers Ansichten über die Inquisitoren hatten sich im vergangenen Monat grundlegend geändert. Früher waren Inquisitoren für sie einfach nur Mitglieder einer Abteilung der New Yorker Polizei gewesen, zuständig für die Aufklärung von Delikten im Zusammenhang mit Zauberei. Sie hatte sich darunter betrunkene irische Raufbolde vorgestellt, so wie die gewöhnlichen New Yorker Polizisten eben. Seit aber ihr Sohn Inquisitor werden sollte, verbat sie sich jedes abfällige Worte darüber.
    »Ich verstehe es immer noch nicht«, sagte Beka skeptisch. »Hat man je von einem jüdischen Inquisitor gehört? Und warum ausgerechnet Sascha?«
    »Weil er etwas Besonderes ist! Das hat dieser Eignungstest bewiesen.«
    Beka verdrehte die Augen. Sie saß eingeklemmt zwischen Sascha und ihrem Großvater auf dem Bett und mühte sich mit ihren Hausaufgaben für die Abendschule. Soweit Sascha das beurteilen konnte, kam sie nicht gut voran. Bisher hatte sie drei Anläufe zu dem Satz genommen »Amerika gründet auf dem Prinzip, wonach jedermann das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück hat ungeachtet magischer Kräfte« – und musste das Blatt immer wieder zerreißen, weil ihr Großvater sich im Bett herumgewälzt und dabei ihr Werk zerstört hatte.
    »Eigensinnig, würde ich sagen!«, schnaubte Großvater Kessler. Die lauten Stimmen hatten ihn aufgeweckt, da wollte er sich die Gelegenheit zum Disput nicht entgehen lassen, auch wenn in der Familie in den vergangenen Wochen schon oft darüber diskutiert worden war. »Er ist der Enkel und Urenkel berühmter Kabbalisten und was macht er aus seinem Zaubertalent?
Bubkes!
«
    »Wenn man seine Fähigkeit, die Treffer sämtlicher Yankee-Spieler auswendig herzusagen, nicht auch als Zaubertalent ansieht«, mischte sich Beka ein.
    Sascha stöhnte. Er hätte Beka gern widersprochen, aber leider hatte sie recht. Wenn er seine Thora-Sprüche ebenso leicht auswendig gelernt hätte wie Baseballstatistiken, wäre seine
Bar-Mizwa
keine öffentliche Demütigung geworden.
    »Das spielt jetzt keine Rolle.« Mrs Kessler sah nach dem Brot im Ofen und legte noch Kohle nach. Dabei rutschte ihr silbernes Medaillon, das sie an einer Kette um den Hals trug, aus dem Ausschnitt ihres Kleides und schwang auf die Flammen im Ofen zu. Versonnen steckte sie es wieder in den Ausschnitt ihres abgetragenen Kleides. »Das Wichtigste ist doch, dass diese Ausbildung eine großartige Chance für Sascha ist, stimmt’s, Sascha?«
    »Äh …, ja …, sicher«, stotterte Sascha.
    Tatsächlich war er sich überhaupt nicht sicher. Auf der einen Seite war das Geld. Es war großartig, sich als Erwachsener zu fühlen und genug Geld zu verdienen, um die ganze Familie aus dieser Mietskaserne herauszuholen und ihr eine Wohnung im Grünen irgendwo in Brooklyn zu verschaffen. Gerne stellte er sich vor, dass seine Mutter und seine Schwester die Arbeit in der Textilfabrik aufgaben und sein Vater sich dem Thorastudium widmete, statt sich in den East River Docks mit dem Schleppen von Fischkisten den Rücken zu ruinieren. Aber auf der
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