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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher
Autoren: Sebastian Fitzek
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intensivmedizinisch gepflegt. Sie muss nicht mehr künstlich beatmet werden und kann über das rechte Augenlid kommunizieren, aber von weiteren nennenswerten Fortschritten wissen die Ärzte leider nichts zu berichten.«
»Moment mal, Sophia hat ihre Tochter einfach so zurückgelassen?«, fragte Patrick. »Nach alledem?«
»So schien es zunächst.«
Der Ölradiator knackte, und der Professor war versucht, sich nach einem glimmenden Holzscheit im Kamin umzudrehen. Gleichzeitig fragte er sich, ob seine Zuhörer die zunehmenden Schwingungen in seiner Stimme bemerkten.
»Doch dann, ein Jahr später, fanden die Schwestern auf einmal ein kleines Geschenk auf Maries Nachttisch.«
»Was für ein Geschenk?«, fragten Patrick und Lydia fast gleichzeitig.
»Es kam in einem fliederfarbenen Geschenkkarton, so groß wie eine Ringschatulle. Darin lag eine Kette mit einem Amulett. Sie können sich vorstellen, wem sie gehörte.«
Lydia hob zweifelnd die Hand, als wären sie in der Schule.
»Hat denn keiner die Besucherin gesehen?«
»Eine Intensivstation ist kein Hochsicherheitstrakt«, wehrte der Professor ab. »Und viele Besucher tragen Mundschutz. Nein. Man hat nie jemanden kommen oder gehen sehen.«
»Nie?«
»Es ist nicht bei der Kette geblieben. Jedes Jahr um Weihnachten fand man ein neues Präsent. Mal war es ein kleines Parfümfläschchen, nach dessen Inhalt Maries Stirn bereits duftete, wenn die Kontrolle kam, mal eine Spieluhr oder eine kostbare Münze. Und jedes Mal lag ein kleiner, doppelt gefalteter Zettel daneben.«
Lydia sog hörbar die Luft ein.
»Was steht drauf?«
»Nichts. Er ist leer.«
Der Professor öffnete die Hände wie ein Zauberer, der gerade ein Einstecktuch in seiner Hand verschwinden ließ.
»Und diese Geschenke sind das einzige Lebenszeichen von Sophia?«, fragte Patrick argwöhnisch.
»Nicht ganz. Der Legende nach soll sie sich Jahre später bei einem bekannten Psychiater in Therapie begeben haben. Natürlich unter einem Pseudonym. Sie nannte sich angeblich Anna Spiegel.«
Bei der Erwähnung des Namens zuckten diesmal beide Studenten zusammen. Patricks Lippen öffneten sich langsam.
»Und der Psychiater hieß …?«
»Viktor Larenz. Wir sprachen bereits zu Beginn des Versuchs über ihn. Leider kann man Larenz heute zu diesem Vorfall nicht mehr befragen. Nach seiner Praxisauflösung fand man aber diese Akte, in der Sie gerade lasen, und die Wissenschaftler streiten bis heute, ob er selbst oder seine unheimliche Patientin sie verfasst hat. Allein die Beschäftigung mit dem Fall soll ihn jedoch krank gemacht haben. Es heißt, Sophia Dorn alias Anna Spiegel wäre das reale Vorbild einer Figur, die Larenz später als Wahnvorstellung in einem schizophrenen Schub reaktiviert habe, aber das ist eine andere Geschichte, die nicht eindeutig belegt ist und nicht hierher gehört.«
»O doch, das finde ich schon. Immerhin haben Sie uns diesen Mist hier zu lesen gegeben.« Patrick tippte mit dem Zeigefinger auf den geschlossenen Deckel. »Was glauben Sie, von wem es stammt?«
»Also …« Der Professor zögerte. »Wenn ich ehrlich bin, finden wir darauf einen Hinweis im Text selbst. Auf Seite 214, Zeile 18.«
»Die Alzner-Protokolle?«, las Lydia stockend vor. Der Professor atmete tief aus. »Was ein Anagramm von Larenz sein könnte«, sagte er.
»Aber wieso sollte Larenz in seiner eigenen Akte ein Wortspiel einbauen?«
»Eben, das will der Professor uns doch gerade sagen.« Lydia warf ihrem Freund einen hitzigen Blick zu. »Sophia hat es geschrieben.«
»Moment mal.« Patrick lachte ungläubig. »Wie soll das gehen? Der Bericht ist fast komplett aus Caspars Perspektive geschrieben. Wie soll sie wissen, was er erlebt, gedacht und gefühlt hat …?« Er stockte, und dann entglitten ihm die Gesichtszüge.
»… wenn Sophia nicht in seinem Kopf war. Ganz genau.« Die Hand des Professors zitterte, als er sich durch das schüttere Haar fuhr.
»Zwischen der Hypnose Haberlands und dem Erscheinen der Polizei sind über anderthalb Stunden verstrichen. Zeit genug für Sophia, um alles aus erster Hand zu erfahren. Sie hielt ja den Schlüssel zu seinem Bewusstsein in ihren Händen. Die restlichen Fakten, die Haberland ihr nicht verriet, könnte sie später von der Presse erfahren haben. Zum Beispiel, wie Linus von Mike Haffners Schneepflug angefahren wurde.« Jetzt hielt es Patrick nicht mehr auf seinem Stuhl. Er sprang wütend auf.
»Soll das etwa heißen, wir haben uns die ganze Zeit ein Dokument reingezogen, das eine irre
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