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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher
Autoren: Sebastian Fitzek
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vorne. So wie das Bett, die edle Auslegeware und die hellen Vorhänge würde man auch dieses Möbelstück eher in einem englischen Schlosshotel als in dem Krankenzimmer einer Psychoklinik erwarten.
»Erkennen Sie ihn wieder?«
Er wünschte es sich. Caspar wünschte es sich so sehr, dass er beinahe gelogen und einfach ja gesagt hätte, nur damit er endlich nicht mehr alleine wäre. Verzweifelt versuchte er sich an irgendein gemeinsames Erlebnis zu erinnern, während er dem ungewöhnlichen Besuch in sein rechtes Auge starrte. Das linke war nicht mehr vorhanden. Vermutlich ausgestochen, wenn er die Narbe richtig interpretierte.
Im Gegensatz zu ihm selbst schien der Hund keinen Zweifel zu haben. Die wuschelige Promenadenmischung erstickte beinahe vor Wiedersehensfreude an seinem eigenen Gehechel.
»Ich weiß es nicht«, seufzte Caspar und nahm die dicke Pfote, die auf seinem Knie lag, zwischen seine Hände. Das sandfarbene Fellknäuel vor ihm hatte große Schwierigkeiten, das Gleichgewicht auf seinen Hinterläufen zu halten, weil es so wild mit dem Schwanz wedelte. »Gar nicht?«
Sophia stand direkt vor ihm, umklammerte seine Krankenakte mit beiden Händen und sah fragend zu ihm und dem Hund hinab. Der oberste Knopf ihrer Bluse hatte sich geöffnet, und der münzgroße Anhänger einer silbernen Halskette blitzte hervor.
»Ich weiß es wirklich nicht«, wiederholte Caspar und bemühte sich, nicht auf das perlmuttfarbene Amulett zu starren, damit sie seine Blicke nicht missverstand. Er seufz te erneut.
Jeden Tag konfrontierten sie ihn mit neuen Splittern aus seiner Vergangenheit. Sie wollten nichts überstürzen, damit sich seine Gedanken nicht auf eine falsche Spurrille setzten, in der sie sich festfahren würden oder leerliefen. Er nannte es die »Puzzletherapie.« Nach und nach reichte man Teilchen für Teilchen, und er fühlte sich immer mehr wie ein Versager, weil er das Gesamtbild nicht zusammenfügen konnte.
Zuerst hatten sie ihm seine verdreckten Kleidungsstücke vorgelegt.
Dann das zerknitterte Bahnticket, Hamburg–Berlin, erste Klasse, Hin-und Rückfahrt für zwei Personen; datiert auf den dreizehnten Oktober des letzten Jahres. Das einzige Dokument in seiner ansonsten leeren Brieftasche. Das und sein mittlerweile abgeschwollener Bluterguss über der rechten Schläfe deuteten darauf hin, dass er das Opfer eines Raubüberfalls geworden war.
»Wo haben Sie ihn denn gefunden?«, fragte er. »In der Auffahrt. Vermutlich verdanken Sie ihm Ihr Leben. Bachmann heizt im Jeep ganz gern mal das Gelände hoch, wenn Raßfeld nicht im Hause ist. Hätte das Tier sich ihm nicht bellend in den Weg gestellt, wäre er sicher nicht auf halber Strecke ausgestiegen, sondern hätte Sie gut übersehen können. Immerhin war es schon dunkel, und Sie sind abseits der Fahrbahn gelegen.«
Sophia ging in die Knie und streichelte den Hund, der ihr das Namensschild am Kittel ableckte.
»Wo ist er die letzten Tage gewesen?«
Sie kraulten nun gemeinsam das weiche Fell. Er schätzte das junge Tier auf höchstens ein Jahr.
»Beim Hausmeister.« Sophia lachte. »Bachmann sagt, es wäre ihm egal, woran Sie sich erinnern. Ich soll Ihnen ausrichten, er würde Mr. Ed nicht mehr hergeben. Sie könnten stattdessen seine Frau mit nach Hause nehmen.«
»Mr. Ed?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Es gab mal eine Fernsehserie mit einem sprechenden Pferd, das hieß so. Bachmann meint, der Hund habe einen ebenso traurigen Blick. Und er wäre noch schlauer.« Sie stand wieder auf.
»Löst Mr. Ed denn gar keine Gefühle bei Ihnen aus?« »Doch schon, sicher. Er ist süß. Aber vielleicht mag ich ja alle Tiere gut leiden? Ich bin mir nicht sicher.« »Also gut …« Sophia blätterte in der Krankenakte. »Und wie ist es hiermit?«
Als sie ihm das Foto hinhielt, fühlte es sich an, als hätte sie ihn geohrfeigt. Seine Wangen brannten, und die gesamte rechte Gesichtshälfte war auf einmal taub. »Woher …?«
Er blinzelte und konnte es dennoch nicht verhindern, dass eine kleine Träne an seinem Nasenbein hinablief. »Haben Sie es … Ich meine …« Er stockte und zog die Nase hoch.
»Ja«, nahm Sophia seine Frage vorweg. »Bachmann hat es erst heute früh beim Schneeräumen gefunden. Es muss Ihnen aus der Tasche gefallen sein, und wir haben es damals übersehen.«
Sie gab ihm den vergrößerten Farbausdruck.
»Und? Erkennen Sie sie wieder?«
Das Blatt begann in Caspars Händen zu zittern. »Ja«, hauchte er, ohne aufzusehen, »leider.«
»Wer ist sie?«, fragte
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