Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
sogar heimlich hinterherschlich. Nichts an ihr war perfekt. Jedes Detail schien mit einem Makel behaftet: die Augen zu groß, die Haut zu blass, die Ohren einen Tick zu weit abstehend, und auch die Nase fand sich mit Sicherheit in keinem Katalog eines Schönheitschirurgen. Und dennoch konnte er sich an dem Gesamtbild einfach nicht sattsehen. Bei jeder Therapiesitzung entdeckte er etwas Neues an ihr, das ihn faszinierte. In diesem Augenblick war es eine einzige lockige Strähne, die ein Fragezeichen unter ihrer Schläfe formte.
»Sie sind zu ungeduldig, Sophia«, hörte er Raßfeld brummen.
Caspar überlief es kalt, als er sah, wie sich die leberfleckige Hand des Klinikleiters langsam der von Sophia nähern wollte.
Der Professor hatte jetzt einen Ton angeschlagen, der nicht nur verschwörerisch, sondern wohl auch verführerisch klingen sollte. »Alles zu seiner Zeit«, sagte er leise, »alles zu seiner …«
Als Raßfeld mit der behaarten Rückseite seines Zeigefingers über Sophias Handgelenk strich, handelte Caspar instinktiv.
Er sprang hoch, riss die Tür auf und wich mit gespieltem Erstaunen sofort wieder in den Flur zurück.
»Was … was haben Sie hier zu suchen?«, blaffte Raßfeld, der sich nach einer Schrecksekunde sofort wieder im Griff hatte.
»Ich wollte mir einen Kaffee holen«, erklärte Caspar und zeigte auf die silberne Thermoskanne neben Sophia. »Habe ich Ihnen nicht verboten, Ihr Zimmer zu verlassen?«
»Hm, richtig. Muss ich wohl vergessen haben.« Caspar griff sich an den Kopf. »Sorry. Aber so was passiert mir öfter in letzter Zeit.«
»Ach so, Sie finden das also lustig, ja? Und was, wenn Sie einen Rückfall haben und unbemerkt aus der Klinik stolpern? Haben Sie mal nach draußen gesehen?« Caspar folgte Raßfelds Handbewegung zu dem beschlagenen Küchenfenster.
»Da türmen sich zwei Meter hohe Schneeberge. Ein zweites Mal wird Bachmann Sie nicht retten können.« Zu Caspars Überraschung sprang ihm Sophia zur Seite. »Das ist meine Schuld«, sagte sie bestimmt. Sie griff sich die Krankenakte und trat aus der Küche. »Ich habe es ihm erlaubt, Herr Professor.«
Caspar versuchte sich seine Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Tatsächlich hatte Sophia das Gegenteil von ihm verlangt. Er sollte immer die Schwestern verständigen, selbst wenn er nur auf die Toilette wollte. »Wenn das wahr ist …«, Raßfeld zog ein Stofftaschentuch aus seinem Kittel und tupfte sich ärgerlich die Stirn ab, »… dann habe ich diese Entscheidung hiermit wieder aufgehoben.«
Unwirsch drängte er sich an den beiden vorbei. »Das wird ein Nachspiel haben« hing unausgesprochen in der Luft, während der Professor wortlos zum Fahrstuhl ging.
Sophias Gesichtsausdruck entspannte sich mit jedem Schritt, den er sich von ihnen entfernte. Als er endlich um die Ecke verschwand, atmete sie aus.
»Kommen Sie. Wir müssen uns beeilen«, sagte sie nach einer kurzen Pause.
»Warum?« Caspar folgte ihr den Gang hinunter zu seinem Zimmer. »Wir hatten doch heute schon unsere Sitzung.«
»Ja, aber Sie haben Besuch bekommen.«
»Von wem?«
Sophia drehte sich zu ihm um.
»Von jemandem, der vielleicht weiß, wer Sie wirklich sind.« Caspar verkrampfte innerlich und blieb abrupt stehen.
»Wer?«
»Sie werden schon sehen.«
Sein Puls beschleunigte sich, obwohl er nun langsamer ging. »Weiß Raßfeld davon?«
Die Ärztin zog erstaunt ihre Brauen zusammen und musterte ihn misstrauisch. Ihr stechend prüfender Blick erinnerte ihn an seine ersten bewussten Sekunden auf der Intensivstation. Er war aufgewacht und hatte in das Bild eines Fremden gestarrt, das sich in Sophias wasserblauen Augen widerspiegelte. Zuerst war er von den bernsteinfarbenen Einschlägen abgelenkt gewesen, die wie Kieselsteine am Grunde eines klaren Sees ihren Pupillen zusätzliche Tiefe verliehen.
»Wer sind Sie?«, hatte sie ihn gefragt mit einer warmen Stimme, der man trotz aller Professionalität ihre Besorgnis anhörte.
Das war seine erste Erinnerung. Seitdem lebte er nur noch in der Gegenwart.
»Ich dachte, der Professor will nicht, dass Sie mich zu schnell mit der Wahrheit konfrontieren?«, fragte er. Sophia neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte ihn intensiv.
»Und ich glaube, Sie haben Ihren Kaffee vergessen, Caspar«, sagte sie schließlich und bemühte sich ein Lächeln zu unterdrücken. Als es ihr nicht gelang, drehte sie sich wieder um und öffnete seine Zimmertür.
     

18.17 Uhr
    »Na, was ist?«
Er beugte sich aus dem bequemen Clubsessel nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher