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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur
Autoren: Astrid Vollenbruch
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Stille antwortete ihr. Irgendwo im Wald keckerte ein Vogel, dann war es wieder ruhig.
    Sonja merkte, wie sie eine Gänsehaut bekam. Etwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. »Micky!« Sie lief zum Stall, schob den Riegel zurück und zog die schwere Tür auf.
    Drinnen war es dunkel. Dreckiges Stroh lag auf dem Boden. Die Ponys waren nicht da. Auch der Sattelbaum war leer; vielleicht war jemand mit ihnen ausgeritten? Aber was war mit den anderen Tieren? Sie rannte zum Ziegenstall hinüber. Auch er war leer. Weder das Schaf noch die beiden Ziegen waren irgendwo zu sehen oder zu hören.
    Vielleicht waren sie endlich alle beim Tierarzt? Susi hustete schon seit drei Wochen, Bombe war ständig scheinschwanger, Wilhelmine musste geschoren werden, und den Ponys ging es auch nicht besonders. In diesem Sommer hatten sie mehr unter der Hitze gelitten als früher. Vielleicht hatte Herr Frickel endlich eingesehen, dass es so nicht mehr ging, und hatte sie alle zum Tierarzt gefahren.
    Umso wichtiger war es, dass sie in saubere Ställe kamen, wenn er sie zurückbrachte.
    Sonjas Stimmung besserte sich sofort. Sie stand auf, holte eine Mistgabel und die Schubkarre und fing an auszumisten. Während der Arbeit horchte sie ständig nach draußen – hoffentlich kamen sie nicht zurück, bevor sie fertig war! Aber alles blieb still. Sonja fuhr fünf Karren Mist nach draußen und kippte sie auf den Misthaufen hinter der Scheune. Dabei stellte sie sich vor, wie die Tiere nachher schnaufend und zufrieden im sauberen Stroh wühlen würden. Bjarni und Micky bekamen natürlich die meisten Möhren, aber für die anderen blieb noch genug übrig. Und Herr Frickel würde endlich einmal freundlich lächeln und sich für ihre Arbeit bedanken. Wer brauchte schon Melanie? Der Waldhof sicher nicht. Und Sonja schon gar nicht.
    Endlich waren die Ställe leer. Jetzt das saubere Stroh. Schwungvoll schob Sonja die Karre zur Scheune, zog das Scheunentor auf und blieb wie angewurzelt stehen.
    Die ganze linke Seite, wo sonst die Strohballen lagerten, war leer. Rechts rostete der uralte Traktor vor sich hin, daneben lagen Trümmer eines mindestens hundert Jahre alten Mähdreschers und ein paar Blecheimer. Das war alles.
    Der Traum zerstob zu nichts.
    Eine ganze Weile stand Sonja nur da und starrte in die leere Scheune, weigerte sich einfach, es zu glauben. Es war, als hätte ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen oder sie aus heiterem Himmel geohrfeigt. Sie konnte es noch nicht fassen.
    »Sie sind weg. Sie sind alle ... einfach ... weg.«
    Dann drehte sie sich um und ging weg. Strohgabel und Schubkarre ließ sie zurück.
    Sie ging geradewegs zum Haus.
    Herr Frickel mochte es nicht, wenn sie in die Nähe des Hauses kamen. »Was ist los?«, schnauzte er dann. »Geht die Welt unter? Nein? Dann lasst mich gefälligst in Ruhe!«
    Aber erstens war er nicht da und zweitens war jetzt sowieso schon alles egal.
    Das Haus war genauso heruntergekommen wie der Rest des Hofes. In großen Stücken blätterte der graue Putz von den alten Ziegelsteinmauern. Das Dach war schief und krumm, hier und da fehlte ein Dachziegel. Der Garten war eine wuchernde Wildnis aus Disteln, Brennnesseln und kniehohem gelbem Gras.
    Früher hatte es einen Weg ums Haus gegeben, aber er war längst zugewachsen. Sonja stapfte durch das hohe Gras. Halb lauschte sie noch immer nach hinten – war da ein Motorengeräusch? Kam Herr Frickel doch zurück? Sie blieb abrupt stehen und lauschte. Aber alles blieb still, nur im Wald zwitscherten die Vögel. Sie ging um das Haus herum und trat auf die Terrasse, deren Steinfliesen von Moos und Dreck überzogen waren. Von dort konnte sie mitten in Herrn Frickels Wohnzimmer hineinschauen. Genauer gesagt, in das, was einmal ein Wohnzimmer gewesen war.
    Es war leer. Nicht ein einziges Möbelstück stand in dem kahlen Raum.
    Sie wollte es noch immer nicht glauben. Aber dann dachte sie an Micky und Bjarni, die schon so alt gewesen waren, dass sicher kein Händler sie gekauft hatte. Die beiden ständig kranken Ziegen. Das uralte Schaf. Er musste sie allesamt geradewegs zum Schlachter gefahren haben.
    »Micky«, dachte sie. Und heulte los.
    Schlimmer konnte sich auch Napoleon nach der Schlacht von Waterloo nicht gefühlt haben.

E
in graues Pferd
    Später konnte Sonja nicht mehr sagen, wann sie bemerkte, dass sich etwas verändert hatte. Irgendwann, als sie dastand und schniefend in der Hosentasche nach einem Taschentuch suchte, sah sie, dass sich in der
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