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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur
Autoren: Astrid Vollenbruch
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sein?«
    »Nein, das ist er nicht. Los, komm!« Sie stieg wieder auf und trat so hart in die Pedale, dass das Fahrrad wegrutschte. Im letzten Moment fing sie sich ab und radelte los, so schnell sie konnte. Sonja folgte ihr hastig. Keine von ihnen drehte sich mehr nach der Dunkelheit, dem treibenden, fallenden Schnee um, und was auch immer dort war, es blieb lautlos und stumm auf dem Feld zurück und folgte ihnen nicht.
    Der Vorteil einer großen Familie ist, dass ein Kind mehr oder weniger beim Abendessen nicht auffällt. Sonjas Mutter nahm einfach zur Kenntnis, dass Melanie da war, und warf noch eine Handvoll Nudeln ins Kochwasser. Während Sonjas neunjähriger Bruder Paul sich lautstark darüber beschwerte, dass er »den ganzen Tag immer nur zum Arbeiten gezwungen« würde, weil er noch einen Stuhl aus der Küche ins Esszimmer tragen sollte, verzogen sich Sonja und Melanie ins Zimmer des älteren Bruders Philipp. Er war schon neunzehn und der einzige Mensch, der ihnen glauben würde, dass da draußen »irgendwas« war. Stirnrunzelnd hörte er ihnen zu. Noch vor sechs Wochen hätte er ihnen nicht geglaubt, aber inzwischen hatte er Darian und Asarié kennengelernt – und für die Zeit ihrer Abwesenheit hatte Asarié ihm ihre Aufgabe übertragen, über die Nebelbrücke zu wachen.
    »Als du diese Brückenwächterei von den Weißen Schwestern übernommen hast, haben sie doch etwas von unerfreulichen Träumen erzählt«, sagte er zu Melanie. »Hast du in den letzten Nächten irgendetwas Komisches geträumt?«
    Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht. Ein paar Albträume, aber –«
    »Was für Albträume?«
    »Ich weiß nicht, die habe ich doch längst vergessen!«
    »Denk nach«, sagte Philipp. »Es könnte wichtig sein.«
    Melanie versuchte sich zu erinnern. »Einmal war ich in einem Urwald, und da waren …« Sie dachte noch länger nach und schüttelte den Kopf. »Es ist weg. Von der Nebelbrücke habe ich jedenfalls nie geträumt, nur einmal von Asarié.« Sie kicherte. »Sie hockte oben in einem toten Baum und versuchte, Blätter einzufangen, die um sie herumwirbelten. Aber sie hat kein einziges erwischt!«
    »Hm«, machte Philipp. »Damit können wir wirklich nicht viel anfangen. Aber ich glaube, du solltest heute Abend nicht allein nach Hause fahren. Entweder du bleibst über Nacht hier, oder ich begleite dich.«
    »Glaubst du denn, dass da draußen wirklich etwas ist?«, fragte Sonja beklommen. Sich vor der Dunkelheit zu gruseln, war eine Sache – aber von Philipp bestätigt zu bekommen, dass sie vielleicht wirklich in Gefahr gewesen waren, machte das Ganze auf eine unheimliche Weise wirklich .
    »Ich bin nicht ganz sicher«, antwortete Philipp. »Aber ich hatte in den letzten Tagen öfter das Gefühl, dass jemand ums Haus schleicht. Und dieser ekelhafte Geruch – ja, der ist mir auch aufgefallen. Vielleicht gehört das zusammen. Gesehen habe ich nichts, aber Asarié hat mir gesagt, dass man es irgendwie spürt, wenn jemand hier herüberkommt, der nicht hergehört.«
    »Aber wie soll das gehen?«, fragte Melanie verblüfft. »Ich dachte immer, man könnte nur auf einem Einhorn über die Nebelbrücke reiten, weil das Einhorn selbst der Zauber ist?«
    »Ja, das haben sie uns gesagt. Aber Asarié ist auch ohne Nachtfrost nach Parva gekommen. Offenbar gibt es den einen oder anderen Schleichweg.«
    Sonja runzelte die Stirn. »Dann braucht sie Nachtfrost ja gar nicht, um zurückzukommen. Vielleicht ist er alleine über die Brücke gegangen – vielleicht war er es ja doch!«
    »Nein«, sagte Melanie heftig. »Er hätte nie zugelassen, dass wir Angst bekommen.«
    »Und was hier ums Haus schleicht, ist mit Sicherheit kein Pferd«, sagte Philipp. »Sonst hätte es nämlich Hufspuren im Schnee hinterlassen.«
    »Dann ist es ein Mensch?«, fragte Sonja.
    »Wenn es ein Mensch ist, dann einer, der sich seit Jahren nicht gewaschen hat und in Hühnerställen übernachtet. Hör mal, Melanie, wenn du hier übernachten willst, solltest du jetzt deine Eltern anrufen.«
    Melanie nickte, rutschte von Philipps Bett und ging aus dem Zimmer. Philipp stand von seinem Schreibtischstuhl auf, duckte sich unter zwei von der Decke hängenden Flugzeugmodellen hindurch und ging zum Fenster. Er warf einen langen Blick hinaus in den fallenden Schnee, dann ließ er den Rollladen herunter.
    »Ist da was?«, fragte Sonja ängstlich.
    Er schüttelte nur den Kopf.
    Einen Moment später riss Paul die Zimmertür auf. »Essen kommen!« Und weg war
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