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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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    »Kommt«, schlug ich vor, »lasst uns im Garten spazieren gehen.«
    Wir schlenderten durch den Löwenhof hinaus und vorbei an einem Brunnen, der ringsum von steinernen Löwenfiguren geziert wurde. Colón wirkte entspannt, als wären wir allein und hätten nicht einen ganzen Tross Bedienstete auf den Fersen. Einmal mehr verblüffte mich seine unangestrengte Haltung; sein Gebaren war das eines Mannes, der für sich das Recht beanspruchte, einen bedeutenden Platz in der Welt einzunehmen.
    Wie so oft in den Bergen war es ein frischer Frühlingstag, aber wenigstens gab es heute keinen jener sintflutartigen Regengüsse, die Andalusien in dieser Jahreszeit gern heimsuchten. Ich war froh über die fahle Sonne, auch wenn sie nur wenig Wärme schenkte. Mit geschlossenen Augen hob ich das Kinn, um mir das Gesicht vom Licht liebkosen zu lassen. Ich hatte das Gefühl, eine ganze Ewigkeit sei vergangen, seit ich zuletzt im Freien und weit weg von meinen Verantwortungen gewesen war.
    Als ich mich wieder meinem Begleiter zuwandte, stellte ich fest, dass Colón mich belustigt betrachtete.
    »Ihr werdet es also nicht tun«, sagte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Die … die Zeit ist noch nicht reif dafür. Ich weiß, ich habe Euch das schon einmal gesagt, aber wir haben dringliche Verpflichtungen. So vieles muss noch erledigt werden. Es ist einfach nicht möglich. Selbst wenn wir uns das leisten könnten, halten viele unserer Berater die bloße Vorstellung für hellen Wahnsinn.«
    »Ich würde meinen, dass Ihr auf jeden Rat hören könnt, der Euch beliebt«, entgegnete er, »zumal manche Eure Taten als den Beginn einer besonderen Form des Wahnsinns bezeichnen würden.«
    Meine Stimme wurde hart. »Ihr wagt es, mir Vorwürfe zu machen?«
    Er neigte das Haupt, wobei die Sonne seine kahlen Stellen bloßlegte. Sein lohfarbenes Haar fiel ihm aus; wie ich war er gealtert. Es war eine schmerzhafte Erinnerung an unsere Sterblichkeit, die mich durchzuckte wie eine düstere Vorahnung.
    »Das würde ich mir nie anmaßen«, verteidigte er sich. »Ich meinte lediglich, dass Ihr nach Eurem Gewissen handelt und Euch damit als Monarchin erwiesen habt, die würdiger ist, als es all Eure Vorgänger waren. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Eure Herrschaft als legendär in die Geschichte eingehen wird. Nur wünschte ich mir, ich könnte eine kleine Rolle darin spielen.«
    Mein Zorn verpuffte. »Das ist auch mein Wunsch«, antwortete ich sanft. »Ihr seid willkommen, bei uns zu bleiben. Ich kann Euch eine einflussreiche Position am Hof verschaffen. Ihr wärt für uns von großem Wert, dessen bin ich sicher.«
    Sein Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Danke, Majestad , aber so wie Euer Herz Kastilien gehört, strebt meines zum Meer. Es tut mir leid.« Er verbeugte sich tief, obwohl ich ihn noch gar nicht entlassen hatte. Und bevor mir dämmerte, was er tat, spürte ich, wie seine kräftigen Finger die meinen aufbogen und mir einen kleinen Gegenstand auf die Hand legten.
    Dann entfernte er sich zügig. Schweigend blieb ich stehen. Erst als er verschwunden war, blickte ich auf das kleine Etwas, das er mir gegeben hatte. Es fühlte sich noch ganz warm an.
    Eine Miniaturgaleone, geformt aus blassrosa Gold.
    Mir verschwamm alles vor den Augen. Ich hörte mich rufen: »Haltet ihn! Bringt ihn zurück!«
    Chacón hetzte davon. »Meine Herrin haben wohl ein Geheimnis«, bemerkte Beatriz spitz.
    Ich drehte mich weg und presste die winzige Galeone an mein Herz.
    Und ich lächelte.
    Am Freitag, dem 3. August 1492, sticht der frisch zum Großadmiral ernannte und in den Adelsstand erhobene Don Cristóbal Colón vom Hafen von Palos aus in See. Er reist mit drei Schiffen, der Niña , der Pinta und der Santa María . Während seine Mannschaft ein Lied anstimmt, lässt er sich den Wind durch das silbern gesträhnte Haar streichen. Sein Blick ist nach vorn gerichtet, immer nach vorn zum Horizont.
    Ich stelle ihn mir vor, wie er stromabwärts segelt, das Kloster passiert, wo sein Sohn studiert, wie er den Fluss Saltes überquert und die erste freie Salzwasserfläche erreicht, deren Strömungen ihn vorbei an unseren Kanarischen Inseln zum gewaltigen ozeanischen Meer tragen werden.
    Ich kann nicht wissen, worauf er stoßen wird, wenn er überhaupt fündig wird; ob es ihm gelingen wird, jenen geheimnisvollen Seeweg zu entdecken, oder ob er es mit endlosen Stürmen zu tun bekommen wird, mit turmhohen, weiß gekrönten Wellen, zwischen denen
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