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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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bitten, damit zu leben. Aber das könnte das Exil ihres gesamten Volkes bedeuten. Wie kann ich dafür verantwortlich sein?«
    Er ergriff meine Hand. »Wir haben keine andere Wahl.« Er hob meine Hand zu seinen Lippen. »Brauchst du Zeit?«, murmelte er. Ich nickte und kämpfte die mir in die Augen schießenden, bitteren Tränen zurück.
    »Was immer du entscheidest, ich werde es mit dir tragen«, hörte ich ihn sagen. »Die Entscheidung liegt bei dir; die Entscheidung hat immer bei dir gelegen. Du bist die Königin Kastiliens.«
    In dieser Nacht, in meinen Gemächern, wo der Moschusgeruch der besiegten Odalisken an den gefliesten Wänden haftete und vor meinem Fenster die Nachtigallen Granadas sangen, kniete ich mich vor meinen Altar mit dem beleuchteten Stundenbuch, den getriebenen goldenen Kerzenhaltern und der sanft lächelnden Jungfrau, die, das kleine Christuskind in den Armen, in wallenden malvenfarbenen Gewändern auf einer Wolke stand, bereit, in den Himmel aufzufahren …
    Die Juden hatten Kinder, Töchter, Söhne. Sie waren Mütter, Väter, Großeltern. Familien. Konnte ich das wirklich tun? Konnte ich eine Jahrhunderte währende Tradition der convivencia , des Zusammenlebens, mit einem einzigen Federstrich beenden?
    Die Entscheidung hat immer bei dir gelegen.
    Die ganze Nacht verharrte ich vor dem Altar, bis die letzte der Votivkerzen mit einem Zischen in geschmolzenem Wachs erlosch, bis mein Körper so starr war, dass ich kaum noch aufstehen konnte. Ich wehrte mich gegen diesen letzten Akt, grübelte darüber, welches Licht er auf meine Herrschaft werfen würde, haderte mit Ängsten, dass er meinen Seelenfrieden zerstören und mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen würde. Wegen seiner Auswirkungen hatte ich mich immer dagegen gesträubt; ich hatte Zugeständnisse gemacht, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die sich vergrößernde Kluft zwischen ihnen und uns zu überbrücken. Doch diese Wahl hatte ich jetzt nicht mehr.
    Wenn ich die Juden schützte, lief ich Gefahr, mich von meinem eigenen Königreich zu entfremden, für das ich mein Leben lang gekämpft hatte; dann würde ich ausgerechnet den Gott leugnen, der mich zu diesem Triumph geführt hatte, den Gott, der es mir gestattet hatte, einer Frau, einem schwachen Gefäß aus Knochen und Staub, das zu erreichen, was meine Vorfahren in Jahrhunderten vergeblich angestrebt hatten – die Gottlosen zu vertreiben und Spanien unter einer Krone, einem Glauben als ein vereintes Land zusammenzuführen.
    Ich setzte meine unsterbliche Seele aufs Spiel, die in der Stunde meines Todes alles sein würde, was ich hatte.
    Der Morgen brach an, klar und zögernd, wie es in den Bergen oft der Fall ist. Nachdem ich gebadet, mein Fasten gebrochen und es Beatriz erlaubt hatte, meine wunden Knie zu versorgen, wies ich meine Minister an, einen Erlass zu verfassen, der als das Alhambra-Edikt bekannt werden sollte.
    Per Befehl der Könige musste jeder Jude, der nicht zum katholischen Glauben konvertierte, das Land verlassen.
    »Was?« Müde blickte ich zu Chacón auf. Der gewaltige Wanst meines alten Haushofmeisters wölbte sich unter seinem weit geschnittenen Hemd, und er bewegte sich langsam, weil ihm seine chronische Gicht Schmerzen bereitete. Doch sein Verstand war scharf wie immer, und er wachte nach wie vor treu über meinen Sohn Juan, dem er auf Schritt und Tritt folgte. Wenn er just zu dieser Nachmittagsstunde erschien, in der fast der gesamte Hof die größte Hitze in einer Siesta hinter sich brachte und ich mich meiner Korrespondenz widmete, musste ein wichtiger Grund vorliegen.
    »Dieser Seefahrer«, wiederholte er, und seine buschigen Augenbrauen hoben sich. »Er steht draußen und wartet. Anscheinend weiß er nicht, was ›Nein‹ bedeutet.«
    Seufzend blickte ich auf meine mit Tintenflecken verschmutzten Finger hinab. »Na gut, gebt mir einen Moment.«
    Cárdenas schaute auf, als ich mich erhob. Zusammen mit Luis de Santángel arbeitete er an einer dauerhaften Lösung für unsere zerrütteten Finanzen. Auch wenn unser Vertreibungsbeschluss erst im Mai in Kraft treten würde, hatte seine Veröffentlichung auf breiter Front Chaos ausgelöst, und die Zahlung von Steuern und anderen Gebühren hatte entsprechend gelitten.
    Ich war mit Bittgesuchen von verunsicherten Bürgermeistern und Beamten aus allen Teilen des Reichs regelrecht belagert worden, von denen keiner so recht wusste, welche Ziele ich letztlich verfolgte. So sah ich mich gezwungen,
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