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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Zsuzsa Bánk
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ich, wir hatten unseren Vater noch nie so gesehen, niemals hatte er ein fremdes Kind hochgehoben und über seinen Kopf gehalten, nicht einmal mit uns hatte er das getan, und jetzt standen wir hier, vor Zsófis Tür, auf ihren Stufen und schauten in ihren Hof, auf unseren Vater, auf Éva, auf den Jungen, und der Hof sah auf einmal verdreht aus, verzerrt, auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, aber anders, falsch, nicht mehr so wie vorher, so als stünde nichts mehr da, wo es hätte stehen sollen, wo es hingehörte. Ich weiß nicht, ob Isti es merkte, jetzt, da er zu Éva schaute, daß sie etwas verloren hatte, etwas von dem, das sie gewesen war. Vielleicht war es nur die Farbe ihres Haars, die anders war, die aussah wie keine Farbe mehr, oder es war die Art, wie sie den Kopf bewegte, wie sie sich überhaupt bewegte, so als habe sie das verloren, was sie zusammengehalten hatte, was alles an ihr zusammengehalten hatte, Arme, Beine, Hals und Kopf und das andere, als sei es jetzt nur noch lose zusammengefügt, lose aufgezogen an einem Faden, und ich weiß nicht, vielleicht hatte auch unser Vater etwas verloren, in diesem Augenblick wenigstens sah er so aus.

    Éva ging nicht, ohne uns zu sagen, daß wir kommen sollten, und Isti und ich, wir liefen zu ihr, sobald uns Zsófi ließ, und ich wunderte mich, daß wir das Haus und den Weg nicht vergessen hatten, daß man Häuser und Wege nicht vergißt. Zsófi hatte uns erzählt, damals hätten sie vor Évas Füßen ausgespuckt, und zur Taufe habe niemand gratuliert, nur Pista, Zsófi, Jenő und Anikó seien gekommen. Éva habe all das ertragen, und wozu?, hatte Zsófi gefragt und dabei Anna angeschaut, wo sie jetzt zwar immer noch an einem Tisch säßen, Éva und Karcsi, aber Éva nicht mehr koche für ihn, und der Junge reiche ihm manchmal etwas unter dem Tisch, aber nur wenn Éva es nicht sehe. Und dann hatte Zsófi zu uns gesagt, geht nur, geht.

    Vielleicht blieben wir in diesem Winter bei Zsófi, weil unser Vater keinen Grund fand, ihr Haus zu verlassen, vielleicht nur, weil Zsófi sagte, Jenős Bett ist jetzt frei, warum sollt ihr nicht darin schlafen. Ich glaubte, Anna war es recht, daß wir bei Zsófi blieben und sie uns nicht länger in ihrem Haus hatte, in das wir ohnehin bloß den Straßendreck gebracht hatten. Als wir sie zum Bus begleiteten, achtete sie wieder darauf, daß ich keine zu großen Schritte machte und unser Vater nicht vor, sondern neben uns lief, auf gleicher Höhe, und am Bus umarmte sie uns, wie nur sie umarmte, so als wolle sie jede Berührung vermeiden. Isti küßte sie auf die Wangen, und dann küßte er neben Anna in die Luft, und sagte, Küß die Hand, Miklós, und Anna fing sofort an zu weinen, wie nur sie weinte, ohne Ton, und wir wußten nicht, warum sie jetzt weinte, da sie uns loswurde, und unser Vater sagte, es ist gut, Anna Anna, als sei das ihr Name, es ist gut, als könne er sie damit trösten. Als der Bus kam, sah Anna einen Augenblick lang aus, als müßten wir sie zwingen einzusteigen, aber als sich die Türen öffneten, mit diesem lauten, springenden Ton, nahm sie die Stufen, ohne sich noch einmal umzudrehen, und setzte sich ans Fenster, ohne zu uns zu schauen, die kalten Hände auf der Lehne des Vordersitzes, den Blick nach vorne, auf die Straße gerichtet.

    Ich habe mich zu oft gefragt, warum wir in diesem Winter bei Zsófi geblieben und nicht zurückgefahren waren, zu Anna, zum See oder zurück nach Vat, warum wir ausgerechnet hier geblieben waren, nur, weil man uns ein Bett gab und meinem Vater wieder Arbeit in der Schokoladenfabrik. Ich glaube, ich habe Jahre damit verbracht, mich das zu fragen, weil ich keine andere Frage im Kopf hatte, ich glaube, ich hatte über Jahre nichts anderes in meinem Kopf, und vielleicht hat sogar mein Vater Jahre damit verbracht, sich das zu fragen. Ich weiß nicht, ob es jetzt noch eine Rolle spielt, warum wir geblieben waren, vielleicht spielt es keine mehr, auch das Fragen nicht, vielleicht läßt auch das irgendwann nach.

    Isti und ich, wir vertrieben uns die Zeit draußen, im Dorf, auf den Feldern, den Wiesen, und vielleicht weiß ich diese Dinge nur noch, weil es mein letzter Winter mit Isti war und weil sich die kleinen Dinge einprägen, wenn man an das andere, das sie umgibt, nicht denken kann. Isti, Anikó und ich suchten Schneehaufen, die man an den Wegkreuzungen zusammengeschoben hatte, sprangen von einem zum nächsten, warfen blind Schneebälle über Zäune, warteten auf ein
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