Der Schwimmer: Roman (German Edition)

geschrieben habe, dann sage ich: Isti war hier, er hat es mitgenommen, er spielt ein Spiel mit mir, spielt Verstecken und Finden, so etwas. Und mich beruhigt dieser Gedanke, daß Isti da war und etwas mitgenommen hat. Es ist einer der wenigen Gedanken, die mich beruhigen.

    Viel Zeit ist nicht vergangen, seitdem. Es gab Winter, in denen ich bloß auf den Frühling, und Sommer, in denen ich nur auf den Winter wartete, in denen ich nichts anderes tat als warten. Ich habe gearbeitet, erst mit Zsófi an der Zugstation, dann in Gaststätten, Fabriken, in der Stadt und auf dem Land. Mein Vater hat im ersten Sommer, in dem wir ohne Isti waren, bei Anna gelebt, dann bei Éva, aber nur halb, glaube ich, und jetzt sind wir wieder am See, bei Zoltán, Ági und Virág, vielleicht, weil ich es so wollte, weil ich es immer schon so wollte - ich weiß nicht, aber ich möchte es gerne glauben. Seit letztem Sommer sind wir hier, seit den letzten heißen Tagen, als sie die Straße nach Miskolc sperrten, den ganzen Osten, und wir in einem Wagen hierher fuhren, über kleine Wege, abseits, während auf den großen Straßen Panzer rollten. Jedesmal wenn wir ausstiegen, lagen Schnecken am Wegrand, und mein Vater sagte, wenn du Salz auf sie streust, lösen sie sich auf - als ob ich das nicht wüßte.

    In diesen Tagen ist der Himmel über uns blau, wie selten um diese Jahreszeit. Heute morgen sind zwei Flugzeuge, klein wie Punkte, durch dieses Blau geflogen und haben ein langes weißes X gezeichnet. Ich habe Wein gepflanzt, er wächst die Mauer hoch, nur an wenigen Stellen etwas dichter, und Virág sagt, es wird dauern. Manchmal sitzen wir unten am See, Virág und ich, dort, wo das Wasser an die Steine schlägt, mit Blick auf die erste Sandbank, und sie weiß, daß ich dann an Isti denke, an nichts anderes, an die Sommer mit ihm, an sein Springen ins Wasser, jederzeit und überall.

    An der Anlegestelle erzählen sie, in Prag habe sich jemand angezündet, jetzt, wo alles längst schon vorbei sei, ein halbes Jahr später, und wir, wir wissen nicht, ob wir das glauben sollen. Ági meint, so ein Blödsinn, wer zündet sich an, freiwillig, lebendig, aber Virág hat mir anvertraut, sie glaube es, und Mihály, er glaube es auch.
    Mein Vater hat gesagt, wenn du fahren willst, kannst du fahren, schon vor Monaten hat er das gesagt, und seither warte ich darauf, daß man mich läßt. Man hat mir erklärt, es wird dauern, ich werde warten müssen, vielleicht länger, als ich denke, bestimmt länger, und ich habe gesagt, es macht nichts, es macht gar nichts, ich kann warten, und dann habe ich noch einmal gesagt: Ich kann warten, ja.

Über Zsuzsa Bánk
    Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete als Buchhändlerin und studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie als Autorin und Redakteurin in Frankfurt am Main.

Impressum
    Covergestaltung: Hißmann & Heilmann, Hamburg
    Coverabbildung: Marut Lührs
    © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2002
     
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    ISBN 978-3-10-400005-3

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