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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Autoren: Erich Maria Remarque
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Rühren Sie, Gefreiter Bodmer! Warum tragen Sie vormittags keine Scheuklappen wie das Paukenpferd einer Kavalleriekapelle und schützen so Ihre Tugend? Kennen Sie die drei kostbarsten Dinge des Lebens nicht?»
      «Wie soll ich sie kennen, Herr Oberstaatsanwalt, wenn ich das Leben selbst noch suche?»
      «Tugend, Einfalt und Jugend», dekretiert Georg. «Einmal verloren, nie wieder zu gewinnen! Und was ist hoffnungsloser als Erfahrung. Alter und kahle Intelligenz?»
      «Armut, Krankheit und Einsamkeit», erwidere ich und rühre.
      «Das sind nur andere Namen für Erfahrung, Alter und mißleitete Intelligenz.»
      Georg nimmt mir die Zigarre aus dem Mund, betrachtet sie kurz und bestimmt sie wie ein Sammler einen Schmetterling. «Beute von der Metallwarenfabrik.»
      Er zieht eine schöne angerauchte, goldbraune Meerschaumspitze aus der Tasche, paßt die Brasil hinein und raucht sie weiter.
      «Ich habe nichts gegen die Beschlagnahme der Zigarre», sage ich. «Es ist rohe Gewalt, und mehr kennst du ehemaliger Unteroffizier ja nicht vom Leben. Aber wozu die Zigarrenspitze? Ich bin kein Syphilitiker.»
      «Und ich kein Homosexueller.»
      «Georg», sage ich. «Im Kriege hast du mit meinem Löffel Erbsensuppe gegessen, wenn ich sie in der Küche gestohlen hatte. Und der Löffel wurde in meinen schmutzigen Stiefeln aufewahrt und nie gewaschen.»
      Georg betrachtet die Asche der Brasil. Sie ist schneeweiß. «Der Krieg ist viereinhalb Jahre vorbei», doziert er.
      «Damals sind wir durch maßloses Unglück zu Menschen geworden. Heute hat uns die schamlose Jagd nach Besitz aufs neue zu Räubern gemacht. Um das zu tarnen, brauchen wir wieder den Firnis gewisser Manieren. Ergo! Aber hast du nicht noch eine zweite Brasil? Die Metallwarenfabrik versucht Angestellte nie mit einer einzigen zu bestechen.»
      Ich hole die zweite Zigarre aus der Schublade und gebe sie ihm. «Intelligenz, Erfahrung und Alter scheinen doch für etwas gut zu sein», sage ich.
      Er grinst und händigt mir dafür eine Schachtel Zigaretten aus, in der sechs fehlen. «War sonst was los?» fragt er.
      «Nichts. Keine Kunden. Aber ich muß dringend um eine Gehaltserhöhung ersuchen.»
      «Schon wieder? Du hast doch erst gestern eine gehabt!»
      «Nicht gestern. Heute morgen um neun. Lumpige achttausend Mark. Immerhin, heute morgen um neun war das wenigstens noch etwas. Inzwischen ist der neue Dollarkurs herausgekommen, und ich kann nun statt einer neuen Krawatte nur noch eine Flasche billigen Wein dafür kaufen. Ich brauche aber eine Krawatte.»
      «Wie steht der Dollar jetzt?»
      «Heute mittag sechsunddreißigtausend Mark. Heute morgen waren es noch dreißigtausend.
      Georg Kroll besieht seine Zigarre. «Sechsunddreißigtausend! Das geht ja wie das Katzenrammeln! Wo soll das enden?»
      «In einer allgemeinen Pleite, Herr Feldmarschall», erwidere ich. «Inzwischen aber müssen wir leben. Hast du Geld mitgebracht?»
      «Nur einen kleinen Handkoffer voll für heute und morgen. Tausender, Zehntausender, sogar noch ein paar Pakete mit lieben, alten Hundertern. Etwa fünf Pfund Papiergeld. Die Inflation geht ja jetzt so schnell, daß die Reichsbank mit dem Drucken nicht mehr nachkommt. Die neuen Hunderttausendernoten sind erst seit vierzehn Tagen raus – und jetzt müssen bald schon Millionenscheine gedruckt werden. Wann sind wir in den Milliarden?»
    «Wenn es so weitergeht, in ein paar Monaten.»
      «Mein Gott!» seufzt Georg. «Wo sind die schönen ruhigen Zeiten von 922? Da stieg der Dollar in einem Jahr nur von zweihundertfünfzig auf zehntausend. Ganz zu schweigen von 92 – da waren es nur lumpige dreihundert Prozent.»
      Ich sehe aus dem Fenster, das zur Straße hinausgeht. Lisa trägt jetzt einen seidenen Schlafrock, mit Papageien bedruckt. Sie hat einen Spiegel an die Fensterklinke gehängt und bürstet ihre Mähne.
      «Sieh das da an», sage ich bitter. «Es sät nicht, es erntet nicht, und der himmlische Vater ernährt es doch. Den Schlafrock hatte sie gestern noch nicht. Seide, meterweise! Und ich kann nicht den Zaster für eine Krawatte zusammenkriegen.»
      Georg schmunzelt: «Du bist eben ein schlichtes Opfer der Zeit. Lisa dagegen schwimmt mit vollen Segeln auf den Wogen der deutschen Inflation. Sie ist die Schöne Helena der Schieber. Mit Grabsteinen kann man nun mal nicht reich werden, mein Sohn. Warum gehst du nicht in die Heringsbranche oder in den
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