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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Autoren: Erich Maria Remarque
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geschrägten dritten, und oben darauf, wenn es sich um ein Glanzstück im wahren Sinne des Wortes handelt, auch noch ein stattliches Kreuz aus demselben Material. So etwas ist heute natürlich nur noch da für reiche Bauern, große Sachwertbesitzer, Schieber und die geschickten Geschäfsleute, die mit langfristigen Wechseln arbeiten und so von der Reichsbank leben, die alles mit immer neuen, ungedeckten Geldscheinen bezahlt.
      Wir blicken gleichzeitig auf das einzige dieser Glanzstücke, das bis vor einer Viertelstunde noch Eigentum der Firma war. Da steht es, schwarz und blitzend wie der Lack eines neuen Automobils, das Frühjahr umdufet es, Fliederblüten neigen sich ihm zu, es ist eine große Dame, kühl, unberührt und noch für eine Stunde jungfräulich –, dann wird ihm der Name des Hofesitzers Heinrich Fleddersen auf den schmalen Bauch gemeißelt werden, in lateinischer, vergoldeter Schrif, der Buchstabe zu achthundert Mark. «Fahre wohl, schwarze Diana!» sage ich. «Dahin!» und lüfe meinen Hut. «Es ist dem Poeten ewig unverständlich, daß auch vollkommene Schönheit den Gesetzen des Schicksals untersteht und elend sterben muß! Fahr wohl! Du wirst nun eine schamlose Reklame für die Seele des Gauners Fleddersen werden, der armen Witwen aus der Stadt ihre letzten Zehntausender für viel zu teure, mit Margarine verfälschter Butter entrissen hat – von seinen Wucherpreisen für Kalbsschnitzel, Schweinekoteletts und Rinderbraten ganz zu schweigen! Fahr wohl!»
      «Du machst mich hungrig», erklärt Georg. «Auf zur Walhalla‘! Oder mußt du vorher noch deinen Schlips kaufen?»
      «Nein, ich habe Zeit, bis die Geschäfe schließen. Sonnabends gibt es nachmittags keinen neuen Dollarkurs. Von zwölf Uhr heute mittag bis Montag früh bleibt unsere Währung stabil. Warum eigentlich? Da muß irgendwas mächtig faul dabei sein. Warum fällt die Mark über das Wochenende nicht? Hält Gott sie auf?»
      «Weil die Börse dann nicht arbeitet. Sonst noch Fragen?»
      «Ja. Lebt der Mensch von innen nach außen oder von außen nach innen?»
      «Der Mensch lebt, Punkt. Es gibt Gulasch im ,Walhalla‘, Gulasch mit Kartoffeln, Gurken und Salat. Ich habe das Menü gesehen, als ich von der Bank kam.»
      «Gulasch!» Ich pflücke eine Primel und stecke sie mir ins Knopfloch. «Der Mensch lebt, du hast recht! Wer weiter fragt, ist schon verloren. Komm, laß uns Eduard Knobloch ärgern!»

    Wir betreten den großen Speisesaal des Hotels «Walhalla». Eduard Knobloch, der Besitzer, ein fetter Riese mit einer braunen Perücke und einem wehenden Bratenrock, verzieht bei unserem Anblick das Gesicht, als hätte er bei einem Rehrücken auf eine Schrotkugel gebissen.
      «Guten Tag, Herr Knobloch», sagte Georg. «Schönes Wetter heute! Macht mächtigen Appetit!»
      Eduard zuckt nervös die Achseln. «Zuviel essen ist ungesund! Schadet der Leber, der Galle, allem.»
      «Nicht bei Ihnen, Herr Knobloch», erwidert Georg herzlich. «Ihr Mittagstisch ist gesund.»
      «Gesund, ja. Aber zuviel gesund kann auch schädlich sein. Nach den neuesten wissenschaflichen Forschungen ist zuviel Fleisch –»
      Ich unterbreche Eduard, indem ich ihm einen leichten Schlag auf seinen weichen Bauch versetze. Er fährt zurück, als hätte ihm jemand an die Geschlechtsteile gegriffen. «Gib Ruhe und füge dich in dein Geschick», sage ich. «Wir fressen dich schon nicht arm. Was macht die Poesie?»
      «Geht betteln. Keine Zeit! Bei diesen Zeiten!»
      Ich lache nicht über diese Albernheit. Eduard ist nicht nur Gastwirt, er ist auch Dichter; aber so billig darf er mir nicht kommen. «Wo ist ein Tisch?» frage ich.
      Knobloch sieht sich um. Sein Gesicht erhellt sich plötzlich.
      «Es tut mir außerordentlich leid, meine Herren, aber ich sehe gerade, daß kein Tisch frei ist.»
      «Das macht nichts. Wir warten.»
      Eduard blickt noch einmal umher. «Es sieht so aus, als ob auch einstweilen keiner frei würde», verkündet er strahlend. «Die Herrschafen sind alle erst bei der Suppe. Vielleicht versuchen Sie es heute einmal im ,Altstädter Hof‘ oder im Bahnhofshotel. Man soll dort auch passabel essen.»
      Passabel! Der Tag scheint von Sarkasmus zu triefen. Erst Heinrich und jetzt Eduard. Wir aber werden um das Gulasch kämpfen, auch wenn wir eine Stunde warten müssen – es ist ein Glanzpunkt auf der Speisekarte des «Walhalla».
      Doch Eduard ist nicht nur Poet, sondern scheint auch Gedankenleser
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