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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Autoren: Erich Maria Remarque
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Waldbach im Märchen.
      Eduard faßt sich an die Stirn. Sein letzter Halt schwindet. Das Mädchen kann es auch nicht gewesen sein. Wer so lacht, hat keine solche Kommißstimme. «Sie können gehen, Knobloch», erklärt Georg nachlässig. «Oder haben Sie die Absicht, an der Unterhaltung teilzunehmen?»
      «Und iß nicht so viel Fleisch», sage ich. «Vielleicht kommt es davon! Was hast du uns vorhin noch erklärt? Nach den neuesten wissenschaflichen Forschungen –»
      Eduard dreht sich rasch um und haut ab. Wir warten, bis er weit genug weg ist. Dann beginnt Willys mächtiger Körper in lautlosem Gelächter zu beben. Renée de la Tour lächelt sanf. Ihre Augen funkeln.
      «Willy», sage ich. «Ich bin ein oberflächlicher Mensch, und dieses war deshalb einer der schönsten Momente meines jungen Lebens – aber jetzt erkläre uns, was los ist!»
      Willy zeigt, bebend vor schweigendem Gebrüll, auf Renée.
      «Excusez, Mademoiselle», sage ich. «Je me –»
      Willys Gelächter verstärkt sich bei meinem Französisch.
      «Sag’s ihm, Lotte», prustet er.
      «Was?» fragt Renée mit züchtigem Lächeln, aber plötzlich in leisem, grollendem Baß.
      Wir starren sie an. «Sie ist Künstlerin», würgt Willy hervor. «Duettistin. Sie singt Duette. Aber allein. Eine Strophe hoch, eine tief. Eine im Sopran, eine im Baß.»
      Das Dunkel lichtet sich. «Aber der Baß –» frage ich.
      «Talent!» erklärt Willy. «Und dann natürlich Fleiß. Ihr solltet
    mal hören, wie sie einen Ehestreit nachmacht. Lotte ist fabelhaf!»
      Wir geben das zu. Das Gulasch erscheint. Eduard umschleicht, von ferne beobachtend, unsern Tisch. Sein Fehler ist, daß er immer herausfinden muß, warum etwas geschieht. Das verdirbt seine Lyrik und macht ihn mißtrauisch im Leben. Augenblicklich grübelt er über den mysteriösen Baß nach. Er weiß nicht, was ihm noch bevorsteht. Georg Kroll, ein Kavalier der alten Schule, hat Renée de la Tour und Willy gebeten, seine Gäste zu sein, um den Sieg zu feiern. Er wird für das vorzügliche Gulasch dem zähneknirschenden Eduard nachher vier Papierstücke einhändigen, für deren Gesamtwert man heute kaum noch ein paar Knochen mit etwas Fleisch daran kaufen kann.

    Es ist früher Abend. Ich sitze in meinem Zimmer über dem Büro am Fenster. Das Haus ist niedrig, verwinkelt und alt. Es hat, wie dieser Teil der Straße, früher einmal der Kirche gehört, die am Ende der Straße auf einem Platz steht. Priester und Kirchenangestellte haben in ihm gewohnt; aber seit sechzig Jahren ist es Eigentum der Firma Kroll. Es besteht eigentlich aus zwei niedrigen Häusern, die durch einen Torbogen und den Eingang getrennt sind; in dem zweiten lebt der pensionierte Feldwebel Knopf mit seiner Frau und drei Töchtern. Dann kommt der schöne alte Garten mit unserer Grabsteinausstellung, und links hinten noch eine Art von zweistöckigem hölzernem Schuppen. Unten im Schuppen arbeitet unser Bildhauer Kurt Bach. Er modelliert trauernde Löwen und auffliegende Adler für die Kriegerdenkmäler, die wir verkaufen, und zeichnet die Inschrifen auf die Grabsteine, die dann von den Steinmetzen ausgehauen werden. In seiner Freizeit spielt er Gitarre und wandert und träumt von goldenen Medaillen für den berühmten Kurt Bach einer späteren Periode, die nie existieren wird. Er ist zweiunddreißig Jahre alt.
      Den oberen Stock des Schuppens haben wir an den Sargtischler Wilke vermietet. Wilke ist ein hagerer Mann, von dem keiner weiß, ob er eine Familie hat oder nicht. Unsere Beziehungen zu ihm sind freundschaflich, wie alle, die auf gegenseitigem Vorteil beruhen. Wenn wir einen ganz frischen Toten haben, der noch keinen Sarg hat, empfehlen wir Wilke oder geben ihm einen Wink, sich zu kümmern; er tut dasselbe mit uns, wenn er eine Leiche weiß, die noch nicht von den Hyänen der Konkurrenz weggeschnappt worden ist; denn der Kampf um die Toten ist bitter und geht bis aufs Messer. Der Reisende Oskar Fuchs von Hollmann und Klotz, unserer Konkurrenz, benützt sogar Zwiebeln dazu. Bevor er in ein Haus geht, wo eine Leiche liegt, holt er ein paar zerschnittene Zwiebeln aus der Tasche und riecht so lange daran, bis seine Augen voller Tränen stehen – dann marschiert er hinein, markiert Mitgefühl für den teuren Entschlafenen und versucht, das Geschäf zu machen. Er heißt deshalb der TränenOskar. Es ist sonderbar, aber wenn die Hinterbliebenen sich um manchen Toten im Leben nur halb so viel
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