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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Autoren: Erich Maria Remarque
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mitgebracht?»
      Heinrich starrt Georg an. «Mitgebracht? Was ist denn das nun wieder? Wie kann ich Geld mitbringen, wenn wir noch nicht geliefert haben? Das ist doch unmöglich!»
      «Das ist nicht unmöglich», erwidere ich. «Es ist im Gegenteil heute recht gebräuchlich. Man nennt das Vorauszahlung.»
      «Vorauszahlung!» Heinrichs dicker Zinken zuckt verächtlich. «Was verstehen Sie Schulmeister davon? Wie kann man in unserem Geschäf Vorauszahlungen verlangen? Von den trauernden Hinterbliebenen, wenn die Kränze auf dem Grab noch nicht verwelkt sind? Wollen Sie da Geld verlangen für etwas, was noch nicht geliefert ist?»
      «Natürlich! Wann sonst? Dann sind sie schwach und rücken es leichter heraus.»
      «Dann sind sie schwach? Haben Sie eine Ahnung! Dann sind sie härter als Stahl! Nach all den Unkosten für den Arzt, den Sarg, den Pastor, das Grab, die Blumen, den Totenschmaus – da kriegen Sie keine zehntausend Vorauszahlung, junger Mann! Die Leute müssen sich erst erholen! Und sie müssen das, was sie bestellen, erst auf dem Friedhof stehen sehen, ehe sie zahlen, und nicht nur auf dem Papier im Katalog, selbst wenn er von Ihnen gezeichnet ist, mit chinesischer Tusche und echtem Blattgold für die Inschrifen und ein paar trauernden Hinterbliebenen als Zugabe.»
      Wieder eine der persönlichen Entgleisungen Heinrichs! Ich beachte sie nicht. Es ist wahr, ich habe die Grabdenkmäler für unsern Katalog nicht nur gezeichnet und auf dem Presto-Apparat vervielfältigt, sondern sie auch, um die Wirkung zu erhöhen, bemalt und mit Atmosphäre versehen, mit Trauerweiden, Stiefmütterchenbeeten, Zypressen und Witwen in Trauerschleiern, die die Blumen begießen. Die Konkurrenz starb fast vor Neid, als wir mit dieser Neuigkeit herauskamen; sie hatte weiter nichts als einfache Lagerphotographien, und auch Heinrich fand die Idee damals großartig, besonders die Anwendung des Blattgoldes. Um den Effekt völlig natürlich zu machen, hatte ich nämlich die gezeichneten und gemalten Grabsteine mit Inschrifen aus in Firnis aufgelöstem Blattgold geschmückt. Ich verlebte eine köstliche Zeit dabei; jeden Menschen, den ich nicht leiden konnte, ließ ich sterben und malte ihm seinen Grabstein – meinem Unteroffizier aus der Rekrutenzeit, der heute noch fröhlich lebt, zum Beispiel: Hier ruht nach langem, unendlich qualvollem Leiden, nachdem ihm alle seine Lieben in den Tod vorausgegangen sind, der Schutzmann Karl Flümer. Das war nicht ohne Berechtigung – der Mann hatte mich stark geschunden und mich im Felde zweimal auf Patrouillen geschickt, von denen ich nur durch Zufall lebendig zurückgekommen war. Da konnte man ihm schon allerhand wünschen!
      «Herr Kroll», sage ich, «erlauben Sie, daß wir Ihnen noch einmal kurz die Zeit erklären. Die Grundsätze, mit denen Sie aufgewachsen sind, sind edel, aber sie führen heute zum Bankrott. Geld verdienen kann jetzt jeder; es wertbeständig halten fast keiner. Das Wichtige ist nicht, zu verkaufen, sondern einzukaufen und so rasch wie möglich bezahlt zu werden. Wir leben im Zeitalter der Sachwerte. Geld ist eine Illusion; jeder weiß es, aber viele glauben es trotzdem noch nicht. Solange das so ist, geht die Inflation weiter, bis das absolute Nichts erreicht ist. Der Mensch lebt zu 75 Prozent von seiner Phantasie und nur zu 25 Prozent von Tatsachen – das ist seine Stärke und seine Schwäche, und deshalb findet dieser Hexentanz der Zahlen immer noch Gewinner und Verlierer. Wir wissen, daß wir keine absoluten Gewinner sein können; wir möchten aber auch nicht ganz zu den Verlierern zählen. Die dreiviertel Million, für die Sie heute verkauf haben, ist, wenn sie erst in zwei Monaten bezahlt wird, nicht mehr wert als heute fünfzigtausend Mark. Deshalb –»
      Heinrich ist dunkelrot angeschwollen. Jetzt unterbricht er mich. «Ich bin kein Idiot», erklärt er zum zweiten Male. «Und Sie brauchen mir keine solchen albernen Vorträge zu halten. Ich weiß mehr vom praktischen Leben als Sie. Und ich will lieber in Ehren untergehen als zu fragwürdigen Schiebermethoden greifen, um zu existieren. Solange ich Verkaufsleiter der Firma bin, wird das Geschäf im alten, anständigen Sinne weitergeführt, und damit basta! Ich weiß, was ich weiß, und damit ist es bis jetzt gegangen, und so wird es weitergehen! Ekelhaf, einem die Freude an einem gelungenen Geschäf so verderben zu wollen! Warum sind Sie nicht Arschpauker geblieben?»
      Er greif nach seinem
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