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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Autoren: Erich Maria Remarque
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Petersilie in der Realgeschichte. Das nachfolgende Schmähgedicht veröffentlichte er 93 im Stahlhelm:

    Chaplin.

    In den Straßen eine Menschenmenge!
Schubsen, Hälserecken und Gedränge.
Seht: Hier steht das geistige Berlin
und erwartet ungeduldig I h n .

    Tschakoblitzend steht die Schupomauer.
Photographen liegen auf der Lauer.
Weiber kreischen voller Hysterie:
Hurra, Charlie! Hoch und Kikriki!

    E r umhüllt von einer Weihrauchwolke,
zeigt sich huldvoll dem entzückten Volke.
Seht doch! Seht doch, wie sein Auge glüht:
Jeder Zoll ein kleener Flimmerjüd‘.

    Peter Silie 32
    Der Verweis auf die historische Figur des Eduard Petersilie verdeutlicht die Intention Remarques, die Wurzeln des Nationalsozialismus im Kleinbürger- und Bürgertum seiner eigenen Heimatstadt, typisch für zahllose Mittelstädte dieser Art, bloßzulegen. Dazu dient ihm u. a. der »Werdenbrücker Dichterclub«, der im Hotel mit dem Namen der germanischen Götterburg »Walhalla« tagt. Nach der von Richard Wagner ausgestalteten hinlänglich bekannten Version des Mythos geht »Walhalla« in der ›Götterdämmerung‹, das heißt dem Weltuntergang, zugrunde. Auch ein mögliches Bild des Untergangs des Deutschen Reiches von 87 ?
      Die ›Werdenbrücker Intelligenz« wie der »Akademiker« und »markige Runendichter« Hans Hungermann, später »Kulturwart und Obersturmbannführer der neuen Partei« 33 , berauscht sich am Weltschmerz, ihrer verklemmten Sexualität und am nationalen Pathos. Der Eduard Petersilie der Realgeschichte begrüßt am 24. Juli 932 Adolf Hitler bei seiner Landung in Osnabrück auf dem Klushügel.34 Am 4. Januar 99 hatter er im Osnabrücker Tageblatt unter dem Titel Den heimkehrenden Kriegern gedichtet:

    Jubelnd grüßt die Heimat ihre Söhne:
Seid willkommen Niedersachsenhelden!
Was der übermächt’ge Feind auch höhne,
Euren Ruhm wird die Geschichte melden.

    Habt die Wacht so löwenstark gehalten,
Standet treu und fest im Schlachtengrauen,
Stürmtet gegen höllische Gewalten.
Helf uns nun, ein neues Deutschland bauen! 35
    Das ist die Mentalität, die für Remarque in ›Götterdammerung‹ endet und die das alte »Golgatha« zu neuem Leid wiederbelebt. Der schwarzpolierte Obelisk und Grabstein für das gehobene Bürgertum war für Remarque ebenfalls ein sehr reales Objekt der Osnabrücker Zeit, als er bei den »Bildhauer- und SteinmetzWerkstätten« Hermann Vogt (im Roman »Kroll & Söhne«) tätig war. Im Nachlaß findet sich ein Postkartenphoto mit der rückseitigen Aufschrif, vermutlich als Erinnerung an Remarque nach seinem Weggang von Osnabrück nach Hannover oder Berlin gesandt:
       Obelisk v. schwarz, schwed. Granit poliert … 2,0 hoch./MK
       2800/zur Erinnerung an den Wäschepfahl. /H. V. 37
      Hinweise dieser Art auf realgeschichtliche Hintergründe sollen die Remarqueschen Fiktionen keinesfalls auf historische Faktizitäten reduzieren. Die Analyse der Arbeitstechnik Remarques ergibt, daß dies vom Autor auch nicht gewollt ist. Bewußt integriert er tatsächliche Namen, fiktive Namen und neue Namensbildungen durch Abwandlung realhistorischer Namensformen (z. B. Hungermann statt Hungerland, Bodendiek statt Bodensiek etc.) 38 . Er verlagert Handlungsschauplätze und geht im fiktiven Handlungsort Werdenbrück nicht mit der geographischen Präzision vor, die ein historisch genau nachgestellter Handlungsort Osnabrück verlangen müßte. Dieses ist allerdings Absicht. Remarque schaf eine neue fiktive Wirklichkeit, in der das Typische der Figuren und Handlungsorte abstrahierend getroffen werden soll, bei der zugleich aber so viel Realhistorsiches anklingt, daß es zumindest den Osnabrücker Leser verführt nachzuspüren, was oder wer denn gemeint sein könnte. Das Beispiel des realen Grabsteins durchschnittlicher Art, wie er dutzendfach auf den Friedhöfen Osnabrücks und seiner Umgebung zu finden ist, macht klar, daß hier die gestaltende Kraf des Autors eine völlig neue Symbolik schaf. Allerdings, so ist einzugestehen, ist der in Osnabrück arbeitenden Remarque-Forschung noch nicht gelungen, zu entschlüsseln, woran der auf der Rückseite des Photos genannte »Wäschepfahl« erinnern soll.
      Auffällig ist, daß Ludwig Bodmer, schon im Zuge auf der Reise nach Berlin, einen Zusammenhang zwischen dem Obelisken und Georgs Smoking herstellt. Während Ludwig den Obelisken verkauf, hat Georg in Ludwigs Koffer den Smoking gepackt. Vielleicht ist das so zu deuten, daß Remarque
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