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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Autoren: Erich Maria Remarque
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eingekauf, »der Überlieferung zufolge«. Da der Roman 923 spielt, wäre dies im Jahre 863 gewesen. Bismarck war 862 preußischer Ministerpräsident und etwas später Außenminister geworden. Die ›Blut- und Eisen‹-Phase der Gründungspolitik des Deutschen Reichs begann um diese Zeit: 864 – der Dänische Krieg, 866 – der Preußisch-Österreichische Krieg, 870-7 – der DeutschFranzösische Krieg, und dann die Reichsgründung mit dem ersten deutschen Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck.
      Die Grabdenkmäler stehen im Hof der Firma Kroll »wie eine Kompanie«, die angeführt wird »von dem Obelisken Otto«! Ein Zufall der Namensgleichheit? Wohl kaum.
      Die alte Frau Kroll wirf »ab und zu einen wehmütigen Blick auf den Obelisken« – »das einzige, was von den Einkäufen ihres toten Gemahls übriggeblieben ist.« 6
      Was war, so scheint die Frage des Autors zu lauten, im Inflationsjahr 923, im Elend der Kriegsfolgen – aufgezeigt von Remarque insbesondere an den Kriegskrüppeln und den bis zum Verhungern ehrlichen einfachen Leuten – übriggeblieben von einer Reichsidee, die dem deutschen Volk eine Führungsstellung unter den Völkern der Welt versprach, die die Deutschen einigen und Wohlstand bringen sollte? Ein unverkäuflicher Ladenhüter der Geschichte, mit »Wehmut« zu betrachten, und ein »dunkler Ankläger« für eine Ungewisse Zukunf? Zugleich ist der schwarze Obelisk das »Freiluf-Pissoir« des Quartalssäufers und kaiserlichen Feldwebels Knopf, unübertroffen in seiner Treue zum Kaiser und den alten Werten. Ihm gegenüber bezeichnet Bodmer den Obelisken als eine »heilige Sache«, woraufin Knopf ungerührt antwortet: »Das wird erst ein Grabstein auf dem Friedhof«. 8
      Der unverkäufliche Ladenhüter bedarf zu seiner Wirksamkeit, um eine »heilige Sache« zu werden, also der Aktivierung im Totenkult. Die »menschliche Trauer verlangt nun einmal nach Monumenten … und, wenn das Schuldgefühl oder die Erbschaf beträchtlich ist«, nach dem »Kostbarsten« überhaupt, dem »schwarzen, schwedischen Granit, allseitig poliert«. So heißt es schon im dritten Satz des Romans. 9 Auf die hervorragende Stellung dieses Werkstoffs, aus dem der schwarze Obelisk besteht, weist vor allem auch der Denkmalsfabrikant Riesenfeld hin 20 , der im Roman 56 Jahre alt ist, d. h. etwa im Alter Remarques bei der Arbeit an diesem Roman.
      Der Obelisk hat nur scheinbar ausgedient. Der Obelisk ist der Ort, an dem der Pferdeschlächter und Früh-Nazi Watzek Ludwig Bodmer abzuschlachten sucht.
      Heinrich Kroll stellt – eher zufällig, so scheint es – die Verbindung her zu dem kommenden Symbol des Todes, der Vernichtung, der Perversion, des düster-glänzenden Pompes, des potenzstrotzenden Männlichkeitswahns, des Schwarzen und Schauerlichen der SS des Hitlerreichs und ihrer Todesernte. In großer Sorge um den kostbaren Obelisken versucht Heinrich Kroll den Feldwebel Knopf »als Mann, Kameraden, Soldaten und Deutschen« dazu zu bringen, das Idol der Firma loszulassen, um es vor einem evtl. Sturz zu schützen. Heinrichs Begründung, von Ludwig genau notiert, lautet:
    Es sei wertvoller hochpolierter S.-S.-Granit, der beim Fallen
    bestimmt beschädigt würde. 2
      Für Heinrich ist dies nur eine Abkürzung für »schwarz« und »schwedisch«, aber wohl kaum für den Autor, der diese Abkürzung nur an dieser einen Stelle verwendet. Der Sturz des möglichen Symbols der Reichsidee durch den seiner Sinne nicht mehr mächtigen und als unzeitgemäß längst pensionierten Feldwebel der Kaiserzeit kann vermieden werden – und der »S.-S.-Granit« bleibt unangekratzt für das, was folgen sollte.
      Natürlich ist der schwarze Obelisk auch ein gewaltiges PhallusSymbol. Ludwig Bodmer offeriert den »Steinfinger« im Bordell als »klassisches« Grabmal für die »strenge Masseuse«, das »Eiserne Pferd« mit hohen Lederstiefeln, schwarzer Reizwäsche und Peitsche, für Malwine, die Männer versorgt, die nichts als Prügel wollen. Sex, Sadismus und Masochismus traut vereint. Fritzi, die ›Jugendfreundin‹ Bodmers, meint zu der Abbildung des Obelisken, die Ludwig vorzeigt: »Eigentlich nicht schlecht für das Pferd«. Und »die Puffmutter grinst ebenfalls« und fragt: »Was kostet das Ding?« 22
      Mit hintergründigem, aber durchaus bitterem Humor entlarvt Remarque die finstere Feierlichkeit heroischer Totenkulte im SS-Stil als pervertierten Sex.
      Wenn Knopf den
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