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Der schwarze Korridor

Der schwarze Korridor

Titel: Der schwarze Korridor
Autoren: Michael Moorcock
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aller Welt war das?« fragte er sie, als sie wieder ins Wohnzimmer kam. »Es ist, als lebe man in einem Zoo. Vielleicht war es ein Fehler …«
    »Es war die Frau von gegenüber. Sie kam vom Einkauf zurück. Sie hieß mich im Namen des ganzen Hauses willkommen. Ich bedankte mich und schlüpfte hier rein.«
    »Um Himmels willen, ich hoffe, sie werden uns nicht belästigen«, sagte Ryan.
    »Ich glaube nicht, sie schien auch Schwierigkeiten zu haben, mit Fremden zu sprechen.«
    In trauter, ungestörter Stille tranken die Ryans ihren Tee und aßen ihren Kuchen. Als sie fertig waren, räumte Frau Ryan das Geschirr ab, und sie sahen sich erneut ihre Filme an.
    Sie begannen, sich in ihrem kleinen Zuhause wohl zu fühlen. Frau Ryan lächelte und deutete auf den Bildschirm. »Erinnerst du dich an den alten Fischer, den wir in den Klippen trafen. Ich war selten so aufgeregt wie an diesem Tag, und du sagtest …«
    Ein ständiges Klopfen begann.
    Ryan fuhr herum, um die Quelle des Lärms zu ergründen.
    »Hier«, sagte eine Stimme.
    Ryan stand auf. Durch das Fenster sah man den Kopf und Rumpf eines Mannes im Overall. Sein grinsendes rotes Gesicht wurde von strubbeligem blondem Haar umrahmt. Er hatte gelbe, faulige Zähne.
    Frau Ryan hielt die Hand vor den Mund, als Ryan zum Fenster stürzte.
    »Was zum Teufel denken Sie sich eigentlich und stecken Ihre verdammte Nase, ohne zu fragen, in unsere Wohnung?« Ryan zitterte vor Wut. »Was ist mit Ihnen los? Haben Sie noch nie etwas von Privatsphäre gehört? Es ist, als wäre die ganze Welt gegen einen verschworen. Man kann keinen Augenblick in Ruhe und Frieden leben.«
    Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Mannes.
    »Hören Sie zu«, sagte er. »Sie müssen nicht so aufgebracht sein. Ich wußte nicht, daß Sie schon eingezogen sind. Die alte Dame hatte mich gebeten, während Ihrer Abwesenheit die Fenster zu putzen, was ich auch gemacht habe, ohne bisher einen Pfennig dafür gesehen zu haben. Bevor Sie sich über mich beschweren, sollten Sie lieber …«
    »Wieviel?« Ryan fuhr mit seiner Hand in die Tasche. »Los, wieviel?«
    »Drei Pfund sieben.«
    Ryan legte vier Pfundnoten auf das äußere Fensterbrett. »Bitte sehr. Der Rest für Sie und, ein für allemal, kommen Sie nicht wieder. Wir brauchen Sie nicht. Ich werde die Fenster selbst putzen.«
    Der Mann grinste zynisch. »A ja«, er stopfte das Geld in die Taschen seines Overalls. »Ich hoffe, Sie halten’s durch. Alle erzählen mir, sie würden ab jetzt ihre Fenster selber putzen. Haben Sie die Fenster gesehen? Die Hälfte ist noch nie von außen geputzt worden. Man kann durch den Schmutz nicht mehr rausschauen. Es muß wie in den dunklen Höhlen Kalkuttas wirken; aber wenn die Menschen im Dunkeln leben wollen, so ist das ihr Bier, nicht meins.«
    »Ganz recht«, sagte Ryan. »Ihre verdammte Nase …«
    Die Augen des Fensterputzers verengten sich.
    »Hören Sie zu …«
    »Hau ab«, sagte Ryan, »und zwar sofort.«
    Der Mann zuckte mit den Schultern, grinste. »Tschüs dann«, sagte er und verschwand.
    Ryan drehte sich nach seiner Frau um. Frau Ryan saß nicht mehr auf dem Sofa. Er hörte sie weinen und folgte dem Geräusch.
    Frau Ryan lag auf dem Bett, den Kopf in den Kissen, und weinte hysterisch. Er berührte ihre Schulter. »Es ist ja gut, er ist weg.«
    Sie schüttelte seine Hand ab. »Ich habe immer meine private Sphäre gehabt. Dir kann das ja egal sein. Du bist nicht wie ich erzogen worden. Die Leute in unserer Nachbarschaft versuchten sich nie aufzudrängen. Sie kamen nicht, um in die Fenster ande rer Leute zu starren. Warum hast du mich hierher gebracht?«
    »Liebling, ich finde das genauso geschmacklos wie du«, erklärte Ryan. »Wir müssen das den Leuten nur deutlich machen.« Frau Ryan schluchzte weiter.
    »Bitte weine nicht, Liebling«, Ryan fuhr sich durch die Haare. »Ich bring’ das schon in Ordnung. Du wirst nie wieder jemanden treffen, den du nicht kennst.«
    Sie drehte sich um. »Es tut mir leid … Es kommt nur alles so plötzlich. Meine Nerven.«
    »Ich weiß.«
    Er setzte sich auf den Bettrand und strich ihr übers Haar.
    »Komm, wir sehen uns ein Musical im Fernsehen an.« Und gerade, als Frau Ryan zu weinen aufhörte, drang der vertraute Lärm des chinesischen Jazz herüber, zwar etwas leiser, aber noch immer störend.
    Frau Ryan stöhnte und umklammerte ihren Kopf, als das Getingele und Getangele der Musik sie traf.
    Ryan starrte hilflos auf seine weinende Frau. Dann drehte er sich um und
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