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Der schwarze Korridor

Der schwarze Korridor

Titel: Der schwarze Korridor
Autoren: Michael Moorcock
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Fenster erlauben einen Blick auf den dunklen Rasen. Im Fußboden spiegeln sich die matten Lichter der Decke. Im Ballsaal drehen sich förmlich gekleidete Paare im völligen Gleichklang zur Musik. Die Musik ist leise und schwermütig. Alle Paare tragen runde, nachtschwarze Brillen. Ihre Gesichter sind bleich, ihre Gestalten in dem schummrigen Licht kaum zu erkennen. Die runden schwarzen Gläser geben ihnen das Aussehen von Masken. Um die Tanzfläche sitzen andere Paare und starren durch ihre schwarzen Brillen vor sich hin. Plötzlich wird die Musik immer leiser, immer langsamer und auch die Bewegungen der Paare werden langsamer.
    Die Musik verklingt.
    Nun beginnt ein psalmodierender Gesang. Er hat seinen Ursprung im Raum, kommt aber nicht von den Tänzern.
    Die Stimmung im Raum schlägt um.
    Schließlich stehen alle Tänzer völlig still und lauschen dem Gesang. Auch die Sitzenden sind aufgestanden. Der Gesang wird lauter. Die Leute im Raum werden wütend. Sie sind auf eine bestimmte Person wütend. Den Gesang übertönt nun eine Trommel.
    Die Tänzer sind wütend, wütend, wütend …
    Ryan erwacht und erinnert sich der Vergangenheit.
     
     
     
Kapitel 2
     
    Ryan und seine Frau betraten verstohlen ihr neues Appartement und stellten den fast neuen weißen Koffer auf den Boden des Flures. Ryan bemerkt einen Blumentopf, in dem ein Orangenbäumchen wächst.
    »Mutter hat ihn gut gegossen«, murmelte Frau Ryan.
    »Ja«, sagte Ryan.
    »Sie ist sehr zuverlässig in solchen Sachen.«
    »Ja.«
    Vorsichtig nahm Ryan sie in seine Arme. Ihre Bewegungen bewiesen eine gewisse Zurückhaltung, als ob sie sich vor ihm fürchtete oder vor den Konsequenzen, die ihre Handlungen her vorrufen könnten. Eine Welle von Zärtlichkeit überwältigte Ry an. Er lächelte in ihr aufblickendes Gesicht und streichelte sie. Sie lächelte unsicher zurück. »Laß uns das Schloß inspizieren«, sagte er.
    Hand in Hand wanderten sie durch die Wohnung. Über das fahlgoldene Parkett vorbei an den nachgemachten Eichenmöbeln des Wohnzimmers, bis sie schließlich durch eins der großen Fenster auf die gegenüberliegenden Blocks schauen konnten.
    »Sie sind nicht zu nahe«, sagte Ryan mit Befriedigung. »Wäre es nicht gräßlich, so zu wohnen wie die Benedicts, so nahe am nächsten Hochhaus, daß man genau in ihre Fenster sehen kann.«
    »Und umgekehrt, entsetzlich«, sagte Frau Ryan. »Man hätte überhaupt kein Privatleben mehr.«
    Sie wanderten vorbei am Wand-zu-Wand-Fernsehen in die Küche. Sie öffneten die Schränke und überprüften die Vorräte. Sie drückten auf Knöpfe, um die Waschmaschine und den Eisschrank aus ihren Wandnischen hervorzuholen. Sie betätigten den Infragrill, spielten mit dem Telefon und berührten mit den Händen die Wände. Sie gingen in die zwei leeren Schlafzimmer, sahen aus dem Fenster, drehten das Licht an und machten auf den Fliesen des Fußbodens einigen Krach mit ihren Schuhen.
    Zuletzt gingen sie in das Hauptschlafzimmer, in dem die verschiedenfarbigen Wände im vollen Sonnenschein erstrahlten, der durch das Fenster einfiel. Sie öffneten die Kleiderschränke. Frau Ryan glättete vor dem riesigen Konvexspiegel gegenüber dem Bett ihre Haare. Befangen schauten sie aus dem Fenster. Ryan drückte einen Knopf auf dem Fensterbrett, und die Rolläden glitten herab.
    »Sind unsere Wände nicht schön?« Frau Ryan drehte sich um, um auf die vielfarbigen Lichter zu schauen, die dort über die Oberfläche spielten.
    »Nicht so schön wie du!«
    Sie sah sich nach ihm um. »Oh, du …«
    Ryan streckte seine Hand aus und berührte ihre Schultern, ihre linke Brust, ihre Hüfte.
    Frau Ryan schaute schnell in Richtung Fenster, als ob sie sich vergewissern wollte, daß die Läden geschlossen waren und niemand hereinsehen konnte.
    »Ich bin so glücklich«, flüsterte sie.
    »Ich auch.« Ryan trat näher und umarmte sie. Er küßte sie sanft auf die Nase, dann heftig auf den Mund. Seine Hand rutschte tiefer entlang ihrer Hüfte unter ihren Rock, bis er ihre bloße Haut fühlte. Frau Ryan errötete, als er sie auf das neue Bett legte. Sie öffnete ihre Lippen und streichelte seinen Nacken. Sie seufzte.
    Da begann die chinesische Jazzplatte im Nachbarappartement zu spielen. Die Ryans erstarrten. Der Lärm der Platte, jede Note und jeder Ton waren so zu hören, als käme die Musik direkt aus ihren eigenen leuchtenden Wänden.
    Sie fuhren auseinander. Frau Ryan strich ihr Kleid glatt.
    »Verdammt«, Ryan erhob ohnmächtig seine Fäuste.
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