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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes
Autoren: Michael Siefener
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hinter Martins Augen auf.
     
    Und wieder ließ der Würgegriff nach.
     
    Zuerst begriff Martin es nicht. Er konnte durch die Sterne hindurch Marias kahlen Kopf sehen – Stern unter Sternen. Hatte er den Sprung in den Himmel geschafft? Dann bemerkte er, dass aus dem Mund des Grafen ein feines Blutrinnsal tropfte.
     
    Und Maria zog den Dolch aus seinem Rücken. Der Graf fiel langsam, ganz langsam zu Boden. Maria stand mit dem Dolch da. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck.
     
    Sie hat einen Menschen getötet,
dachte Martin ungläubig.
Und sie hat es für mich getan!
     
    Doch das Grauen wich nicht aus ihrem Blick. Und dieser Blick ruhte nicht auf Martin, sondern auf etwas, das sich hinter seinem Rücken befand. Maria trat zur Seite. Ihre härene Kutte flatterte in dem grässlichen Sturm. Sie rannte mit erhobenem Dolch los. Von seiner Klinge tropfte das Blut des Grafen herab und vermischte sich mit dem trocknenden Blut des magischen Kreises.
     
    »Um des Himmels und aller Engel willen – nein!«
     
    Diese Stimme war stark genug, um Maria mitten im Lauf anzuhalten.
     
    Und nicht nur sie.
     
    Alles schien plötzlich erstarrt und erfroren zu sein. Selbst die Schwärze bewegte sich nicht mehr. Der Sturm war erstorben.
     
    Es war Federlin, der diesen Befehl gebrüllt hatte. Federlin? War das noch Federlin, der Gaukler? Er schien größer geworden zu sein, obwohl er die schwarze Decke genauso wenig erreichte wie die anderen. Und etwas war mit seinem Gesicht vorgegangen, aber Martin konnte nicht sagen, was es war. Ihn beherrschte nur noch ein einziges Gefühl – das Gefühl, sich sofort hinknien zu müssen.
     
    »Töte Hilarius nicht, Maria!«, befahl die Gestalt, die früher einmal Federlin gewesen war. »Wenn du ihn tötest, war alles umsonst. Dann wird der schwarze Atem Gottes auf ewig die Welt verheeren. Die Pforte muss geschlossen und vernichtet werden – und das kann nur Hilarius.«
     
    Federlin ging an Martin vorbei, den er keines Blickes würdigte. Als er auf einer Höhe mit dem jungen Mönch war, fiel dieser tatsächlich auf die Knie nieder und bekreuzigte sich. Als er wieder hochschaute, sah er, dass Federlin Maria den Dolch aus der Hand genommen und fortgeworfen hatte. Jetzt stand der Gaukler vor Hilarius. Martin hörte, wie die Gestalt sagte: »Deine Reise ist zu Ende, Pater. Deine Leiden haben ihr Ziel erreicht. Dein Leben wird im Größten vergehen, was ein Mensch den Menschen geben kann. Komm.« Er streckte die Hand aus, und Hilarius ergriff sie. Zusammen traten sie vor das Wesen, das noch immer auf dem Hochsitz hockte.
     
    Martin wagte es, aufzustehen und sich hinter die beiden zu stellen. »Wer bist du?«, fragte er leise und mit gewaltiger Ehrfurcht in der Stimme. »Bist du mein Gott, der Herr?«
     
    Das Wesen, das Federlin gewesen war, drehte den Kopf und sah Martin mit müden Augen an. »Nein«, sagte es. »Das darfst du nicht einmal denken; das ist eine ungeheure Blasphemie. Niemand von uns kennt den Herrn wirklich; niemand von uns weiß, was er wirklich will. Die Juden haben geglaubt, dass er ihnen nun endlich den Messias schicken wird, aber die Zeit ist noch nicht reif dafür. Das jüdische Volk, das Gott besonders liebt, wird noch Schreckliches erleiden müssen, und es steht nicht in meiner Macht, dieses Leiden zu verhindern. Gott würde es niemals zulassen.«
     
    »Aber er hätte es zugelassen, dass der Antichrist gezeugt wird?«, fragte Martin ungläubig und senkte den Blick zu Boden. Es war kaum erträglich, die Gestalt anzusehen, auch wenn sie noch ihre menschliche Hülle trug.
     
    »Gottes Wege sind unergründlich. Vielleicht wäre es möglich gewesen. Und das konnten wir nicht zulassen. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, die Pforte zu vernichten. Ich weiß nicht, was mich dafür als Strafe erwartet. Vielleicht hat Gott unser Handeln erwartet und uns nur auf die Probe gestellt – wie er es manchmal tut …«
     
    »Was ist das für ein Gott?«, flüsterte Martin beinahe unhörbar leise. Das Geschöpf in der Gestalt des Gauklers hatte ihn dennoch gehört und lächelte.
     
    »Ein Gott, den du nie verstehen wirst. Vielleicht werdet ihr mich deshalb eines Tages als Teufel anbeten. Aber dann denkt daran, dass ich euch wirklich geliebt habe.« Er wandte sich an Hilarius, der noch immer reglos und mit starren Augen und offenem Mund vor dem fürchterlichen Geschöpf stand. Die Augen seines zweiten Kopfes waren geschlossen; doch sein Zwilling schlief nicht, wie man an seinen
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