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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes
Autoren: Michael Siefener
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sollten. Doch dann hatte sie der Fahrer des Wagens bemerkt und rief ihnen etwas zu. Es war der kleine und schmächtige Barthel Greusen. Er winkte sie heran. Martin und Maria sahen sich unschlüssig an. Bevor sie noch zu einer Entscheidung gekommen waren, hatte der Wagen sie erreicht und hielt an. Sie sahen, dass Barthel Greusen bleich wie ein Weißbrot war. Und nun steckten auch die anderen die Köpfe unter der Plane des Wagens hindurch: Adam Desch, der den Eindruck machte, als habe er in die Hölle gesehen, Renata Glößler, die so tat, als seien die Ereignisse des vergangenen Tages spurlos an ihr vorübergegangen, Walpurg Steinach und Anna Hänin, die beide unwillkürlich lächelten, als sie Martin sahen, aber dann erschraken, als sie in der haarlosen Frau Maria erkannten, und schließlich der runde, kahle Franz Teuffel, der sich erst räusperte, während er einen schnellen Blick nach rechts und links warf, und dann sagte: »Was für eine Freude, statt dieser Bestien wieder einmal Menschen zu sehen. Wollt ihr nicht aufsteigen? Wir sind auf der Reise nach Westen. Na kommt schon! Wir bringen euch heil aus dieser Schlangengrube heraus.«
     
    Martin und Maria tauschten einen weiteren Blick aus, nickten beinahe gleichzeitig und kletterten auf die Ladefläche des Wagens, der sich sogleich wieder rumpelnd in Bewegung setzte.
     
    Renata Glößler sorgte sofort dafür, dass Maria neue Kleider bekam; die verdreckten und blutigen Sachen des Grafen warfen sie einfach aus dem Wagen. Auch Martin konnte sich endlich seiner Büßerkutte entledigen; seine neue Kleidung war wieder einmal schreiend bunt. Er liebte sie.
     
    Teuffel fragte sie, was sie nach Prag verschlagen hatte. Martin warf Maria einen tiefen Blick zu; dann sagte er: »Ein Albtraum. Ich kann euch nichts darüber erzählen, weil ich selbst nicht mehr weiß, was wir erlebt haben und was nicht. Ich will, dass es nicht so war, wie ich es in Erinnerung habe; also war es auch nicht so. Wir haben nur schlecht geträumt, nicht wahr, Maria?«
     
    Maria nickte heftig. In ihr musste der Wunsch, zu vergessen, mindestens so stark sein wie in Martin selbst. Er atmete auf. Jede Umdrehung der Räder brachte ihn weiter von diesem schrecklichsten Albtraum seines Lebens fort. Aber noch waren sie nicht in Sicherheit.
     
    Das westliche Stadttor tauchte vor ihnen auf. Es war geöffnet, doch zwei Wachen standen davor und verwehrten dem Wagen die Durchfahrt.
     
    »Wohin?«, fragte der eine.
     
    »Was führt ihr mit euch?«, wollte der andere wissen.
     
    »Wir sind Schauspieler und haben vor dem durchlauchtigsten und allerhöchsten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dem allerhöchsten Herrscher Rudolf dem Zweiten, das Spiel vom Antichrist zur Aufführung gebracht. Und da wagt ihr es, uns solche Fragen zu stellen?«, erboste sich Franz Teuffel mit aller ihm zur Verfügung stehenden Schauspielkunst. Tatsächlich hatten sie, wie Teuffel ihnen später lachend gestand, nur auf einem kleinen Platz im Osten von Prag gespielt, und der Zuschauerandrang war lausig gewesen.
     
    Die Wachen sahen einander fragend an, doch dann winkten sie den Wagen durch. Rasselnd und schaukelnd fuhr er an, und bald war das Stadttor nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne, ein Fleck in der Silhouette des großen und weitberühmten Prag.
     
    Maria seufzte erleichtert auf und schlang die Arme um Martin. Renata und Walpurg grinsten breit und schauten dann verständnisvoll weg. »Was wirst du nun tun, mein kleiner Mönch?«, fragte sie ihn. In ihren Augen lagen Schalk und gleichzeitig auch ein wenig Angst vor seiner Antwort.
     
    Martin tat so, als denke er angestrengt nach. »Nun«, sagte er nach einiger Zeit, »mein Kloster ist zerstört, meine Gelübde sind gebrochen, meine Tonsur ist verschwunden, meine Kutte zerrissen, mein Glaube geschwärzt.«
     
    »Dann ist es wohl Zeit für einen Neuanfang«, sagte Maria und lächelte ihn so strahlend an, dass ihm die Knie weich wurden.
     
    Zuerst musste er eine ganze Froschfamilie aus seinem Hals vertreiben; dann erwiderte er: »Was … was hieltest du davon, wenn wir den Leiter dieser großartigen Theatertruppe fragen, ob er noch einen weiblichen und einen männlichen Nebendarsteller gebrauchen kann?«
     
    Marias Augen leuchteten; sie waren zwei Sonnen, die endlich ihren Mond eingefangen hatten. Und in ihrem stürmischen Kuss begann für den ehemaligen Bruder Martin ein neuer Traum.
     
        
     

Epilog
     
    Diese Schmerzen! Diese
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