Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
mit goldenen hebräischen Lettern geschmückt war. Der Graf öffnete ihn, doch in ihm befand sich nichts außer Schriftrollen, die mit Stoff umhüllt waren.
     
    Hilarius stand rechts neben dem Wandschrank, wo sich ein alter Hochsitz befand. Für kurze Zeit schien er seine Schmerzen und Qualen vergessen zu haben. Mit offen stehendem Mund schaute er sich neugierig um. Etwas wie Begreifen war in seine Augen zurückgekehrt. Er sah aus, als sei er aus einem langen Traum erwacht.
     
    Der Graf suchte überall, doch nirgendwo fand er eine Spur von Wolf Auerbach. Fluchend warf er Bänke um, trat Schemel beiseite, zog Vorhänge und Überwürfe fort, taumelte durch die flackernden Schatten und brüllte nach Auerbach. Schließlich stürmte er aus der Synagoge hinaus in den Vorraum und versuchte es mit einer anderen Tür. Hinter ihr führte eine enge Wendeltreppe nach oben.
     
    Maria war ihm hinterhergelaufen, obwohl sie dies gar nicht gewollt hatte. Es war, als sei sie durch ein unsichtbares Band mit dem erschreckenden Grafen verbunden.
     
    Der Graf holte Pater Hilarius; der Succubus hingegen stand wie entseelt vor dem offenen Wandschrank mit den Schriftrollen. Er rührte sich nicht, als die drei wieder das Hauptschiff der Synagoge verließen und in den langen Vorraum drängten. Der Graf lief zuerst hinauf; ihm folgte Hilarius, der mit den hohen Stufen seine Schwierigkeiten hatte und mehrfach stolperte, und Maria bildete die Nachhut. Sie konnte kaum mehr etwas sehen und ertastete die Stufen. Zum Glück war die Treppe sehr kurz. Maria hörte, wie über ihr der Graf eine weitere Tür gewaltsam öffnete; sie schien nicht sehr widerstandsfähig gewesen zu sein. Dann kam auch sie an der gesplitterten Tür an.
     
    Dahinter lag der Dachboden. Er war groß und nur durch hölzerne Pfeiler geteilt, die das spitze, mächtige Dach trugen. Schmale Gauben waren aus ihm vorgebaut, sodass ein wenig von dem Licht der nächtlichen Brände hereinfallen konnte.
     
    War es das seltsame, unstete Licht, das Maria vorgaukelte, die hölzernen Säulen seien lebendig? Oder wanden sie sich wirklich wie Würmer an einer Angel? Auch das Dach selbst zuckte und zitterte wie die schwarze, schuppige Haut eines großen Lindwurmes.
     
    Oder war es gar nicht das Dach? Waren es diese schwarzen Wolken, die über dem Dachboden schwebten? Wolken in einem Haus?
     
    Hilarius fing an zu schreien. Der Graf sah ihn kurz an, dann setzte er seine Suche fort. Hilarius stand einfach da, hatte die Arme ausgebreitet wie vorhin die Buhlteufelin, als sie die Bande bekämpft hatte, und schrie und heulte und kreischte. Das Ding unter seinem Wams warf sich wild hin und her. Und dann mischte sich in sein Schreien eine zweite Stimme, die tiefer und schrecklicher war als die erste und sich mit ihr zu einer schrecklichen Kakophonie vereinigte.
     
    Durch dieses Schreien drang das aufgeregte Rufen des Grafen. Hilarius reagierte nicht darauf, doch Maria wurde von seiner Stimme wie an einer Kordel herbeigezogen.
     
    Dann sah sie es.
     
    Es war ein unförmiger Umriss, der hinter einem der Holzpfeiler in der äußersten östlichen Ecke des Dachbodens lag. Der Umriss bewegte sich. Jetzt sah Maria Hände und Arme und den Oberkörper, doch da, wo der Kopf sein musste, war nur eine unförmige Masse.
     
    Und aus dieser Masse ergoss sich die Finsternis hinaus in die Welt.
     
    Sie hatten den Mund gefunden, aus dem der schwarze Atem Gottes quoll.
     
        
     

37. Kapitel
     
    Es dauerte eine Weile, bis Maria begriff, dass die unförmige Masse auf der Schulter des Menschen vor ihr eine Maske war. Hatte der Graf nicht etwas von einer Maske gesagt? Die Maske erinnerte sie an die Larven, die sie auf dem Hexensabbat gesehen hatte. Doch schrecklicher noch war das, was sich in der Finsternis wand und regte, die sich aus dem Menschen ergoss. Es waren Formen und Gestalten, die sich nicht einmal der kranke Geist eines Geistersehers vorstellen konnte: eine wahnsinnige Mischung aus Menschlichem und Tierischem und Dämonischem. Ganz leise und gedämpft hörte sie das Kreischen und Rauschen und Schreien dieser Geschöpfe, mit dem sie in die Freiheit fuhren und zerstoben.
     
    Der Graf stand mit weit offenem Mund da, und auch Hilarius war still geworden; es war, als hätten die schemenhaften Geschöpfe in der Schwärze sein Geheul aufgenommen und gedämpft und ihn selbst leer zurückgelassen. Schließlich fasste sich der Graf wieder so weit wie möglich und sagte zu Maria: »Wir müssen ihn nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher