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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes
Autoren: Michael Siefener
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stocksteif dastand und ihr Ende erwartete, während es in ihr tobte und schrie. Doch da erhielt sie Hilfe von gänzlich unerwarteter Seite.
     
    Die Begleiterin des Grafen stellte sich der Bande wortlos in den Weg.
     
    »Oha, was willst du denn hier, Schwester?«, knurrte Josef und schwang sein sensenartiges Schwert. »Ich fürchte, du musst nun weichen.« Er stürzte sich auf sie.
     
    Was dann geschah, begriff Maria nicht. Sie blickte wie eine unbeteiligte Zuschauerin aus den Augenfenstern ihres Kerkers und sah Blut, Eingeweide, Fleischklumpen, Gedärm. Und nicht ein einziger Schmerzensschrei ertönte. Zu hören waren nur das kreischende Feuer auf allen Seiten und reißendes Fleisch. Dann war alles vorüber.
     
    Die Fetzen der Opfer waren über den Boden verteilt. Blut hatte das Gassenpflaster gefärbt, das nun so rot war die Flammen, die an allen Seiten emporschossen. Die Pferde der Bande waren bereits mit panikgeschwängertem Wiehern geflohen. Der Succubus stand mit erhobenen, bluttriefenden Armen da, dann ließ er sie sinken, drehte sich um – und lächelte Maria an.
     
    »Gut gemacht«, sagte der Graf und beugte sich wieder über Hilarius. Der Pater war von dem Blut der Bande bespritzt worden, und eine herausgerissene Zunge lag quer über seiner Brust. Graf Albert schnippte sie ungerührt fort und half dem Pater aufzustehen. Indes bückte sich der Succubus und sammelte mit der hohlen Hand etwas Blut ein, das er wie eine Opfergabe hochhielt. Er nahm es mit, als sich die Gruppe wieder in Bewegung setzte.
     
    Maria spürte, wie auch sie ihre laufenden Bewegungen erneut aufnahm, ohne dass sie von ihrem Willen gesteuert gewesen wären. Sie hasteten durch die menschenleeren Gassen; hier waren nur noch vereinzelt kleinere Brände zu sehen; es war, als falle alle Gewalt und Vernichtung langsam in sich selbst zusammen. Der Himmel hatte einen rötlichen Glanz angenommen; vielleicht war es der Widerschein entfernterer Feuer. Außer dem Klappern der Schritte auf dem Pflaster war nichts mehr zu hören.
     
    Das Gebäude besaß ein spitzes Dach; es erinnerte Maria an eine gemauerte Scheune. Aber auf dem Giebel saßen Krallen. Vorn gab es kleine, türlose Vorbauten; der Eingang befand sich an der Seite.
     
    »Es ist so weit, Pater. Das ist eine der ältesten Synagogen Prags: die Altneuschul, wie die Juden sie nennen. Hier soll sich Wolf Auerbach aufhalten, wie mir seine Schwägerin freundlicherweise noch mitteilte, bevor sich ihre Seele in den Himmel erhob. Hier wird sich alles vollenden. Hier wird deine Qual ein Ende haben, das verspreche ich dir.«
     
    Hilarius lehnte neben der Tür an der Wand und hielt sich den Bauch fest, der unter seinem Wams wie verrückt hin und her tanzte.
     
    Der Graf versuchte, das Portal aufzustoßen, doch es gelang ihm nicht. Schließlich trat er schwitzend von der massiven Holztür zurück und rannte gegen sie an.
     
    Holz splitterte, und der Weg war frei. Gerade als Maria von dem Grafen in das Innere des Gebäudes gezogen wurde, glaubte sie hoch oben einen schwarzen Rauch ausströmen zu sehen – vielleicht Ruß aus einem Kamin, kam es ihr in den Sinn. Dann tauchte sie in die Finsternis der Synagoge ein.
     
    Einige Stufen führten hinunter zu einem Vorraum. Niedriges Gewölbe, kleine Fensterlöcher und Spitzbogentüren mit Maßwerk bestimmten den länglichen Raum, der durch die Feuer von draußen schwach beleuchtet wurde. Auf Maria wirkte er – lebendig. Ja, das war das einzige Wort, das ihr einfiel, als sie und Hilarius dicht bei der Tür stehen blieben, während der Graf mit seiner Begleiterin den Vorraum absuchte. Sie fanden nichts und niemanden. Nachdem die Frau das noch immer in ihrer hohlen Hand schwappende Blut der Bandenmitglieder in eine silberne Schale neben einer der Spitzbogentüren gegossen hatte, traten sie in das Innere der Synagoge.
     
    Auf den ersten Blick wirkte vieles wie in einer christlichen Kirche. Maria sah die Rippenwölbungen an der hohen Decke, aber jedes Joch hatte nicht vier, sondern fünf Rippen – als ob selbst die Architektur vor der Kreuzesform zurückschreckte. Ein von Betschemeln umgebenes Geviert etwa in der Mitte der Synagoge trug ein Pult, aber kein Tabernakel. Ein reich bestickter Vorhang, dessen Goldfäden den Feuerschein widerspiegelten, der von draußen durch die schmalen, hohen Spitzbogenfenster hereinfiel, verdeckte etwas in der Wand. Dorthin lief der Graf und riss den Vorhang zur Seite. Dahinter befand sich ein großer Wandschrank, der
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