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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle
Autoren: P. G. Wodehouse
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hatte nicht einen neuen Feind vor sich, sondern einen Bundesgenossen. Ein vernünftiges Mädchen wie May würde augenblicklich die Motive begreifen, die ihn unter das Bett geführt hatten. Sie konnte ihm sogar als Kundschafterin dienen und nachsehen, ob der Weg über die Treppe jetzt frei sei.
    Kräftig niesend, denn er hatte ziemlich viel Staub in die Nase bekommen, rollte George sich unter dem Bett hervor; er stellte sich heiter lachend auf die Füße und sah die erstaunten Augen einer völlig Fremden vor sich.
    Diesen Eindruck wenigstens machte das Mädchen im ersten Augenblick auf ihn; doch während er sie anstarrte, bekam er allmählich das Gefühl, er müßte sie schon einmal gesehen haben. Aber wo? Und wann?
    Das Mädchen war klein und hübsch und hatte lebhafte schwarze Augen. Tiefes Schweigen herrschte in der Schlafveranda, und Mrs. Waddington, die vor der Tür die Ohren spitzte, begann schon zu glauben, George sei nicht da, als plötzlich Stimmen laut wurden. Was gesprochen wurde, konnte sie nicht hören, weil die Tür sehr stark war; aber die eine der beiden Stimmen gehörte zweifellos George. Überaus zufrieden schlich Mrs. Waddington davon. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt, und jetzt hatte sie nur noch zu überlegen, wie sie ihre Feststellung verwerten könnte. Sie ging in den Schatten des Wasserbehälters und blieb dort geraume Zeit in tiefen Gedanken.
    In der Schlafveranda hatte das Mädchen, die Augen starr auf George gerichtet, zurückzuweichen begonnen. Bei dem dritten Schritt stieß sie an die Wand, und das schien ihr die Sprache wiederzugeben.
    »Was machen Sie da in meinem Schlafzimmer?« rief sie.
    Diese Frage hatte den Erfolg, daß aus Georges Verlegenheit kochende Wut wurde. Das war denn doch zuviel. Alles hatte sich heute abend dazu verschworen, aus seiner Schlafveranda einen Treffpunkt der Nationen zu machen, aber der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich gefallen lassen wollte, daß seine Gäste sein Zimmer als ihr eigenes betrachteten.
    »Was soll das heißen, Ihr Schlafzimmer?« fragte er hitzig. »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Mrs. Mullett.«
    »Wer?«
    »Mrs. Frederick Mullett.«
    Mrs. Waddington hatte ihren Aktionsplan fertig. Sie brauchte einen Zeugen, der ihre Beobachtungen bestätigen konnte. Wenn Lord Hunstanton nur schon dagewesen wäre, dann hätte sie sich nicht weiter umzusehen gebraucht. Wen konnte sie statt seiner nehmen? Ihre Frage beantwortete sich von selbst. Ferris war der Mann. Er war zur Hand und konnte ohne Zeitverlust geholt werden. Mrs. Waddington ging zur Treppe.
    »Mrs. Mullett?« fragte George. »Was soll das heißen? Mullett ist nicht verheiratet.«
    »Doch. Wir sind heute vormittag getraut worden.«
    »Wo ist er?«
    »Er ist unten und raucht seine Zigarre zu Ende. Er sagte, wir würden hier oben ganz allein sein, wie zwei kleine Vögelchen, die sich ihr Nestchen in einem Baumwipfel gebaut haben.«
    George lachte bitter.
    »Wenn Mullett denkt, daß man hier fünf Minuten allein sein kann, ist er ein Optimist. Und was für ein Recht hat er denn, in meiner Wohnung wie ein Meiner Vogel ein Nest zu bauen?«
    »Ist das denn Ihre Wohnung?«
    »Allerdings.«
    »Oh! Oh!«
    »Hören Sie auf! Machen Sie nicht so einen Lärm. Die Polizei ist in der Nähe.«
    »Die Polizei!«
    »Ja«
    Plötzlich stiegen dem Mädchen Tränen in die Augen. Zwei kleine Hände schlugen leidenschaftlich flehend ineinander. »Übergeben Sie mich nicht der Polizei, Mister! Ich habe es nur für Ma getan. Wenn Sie arbeitslos und verhungert wären und zusehen müßten, wie ihre arme alte Ma sich über den Waschzuber beugt …«
    »Ich habe gar keine alte arme Ma«, sagte George barsch. »Und was soll denn das ganze Geschwätz überhaupt heißen?« Er unterbrach sich plötzlich. Das Mädchen hatte plötzlich ihre Arme bittend ausgestreckt, und sowie George diese ausgestreckten Arme sah, wußte er, wo er das Mädchen schon gesehen hatte.
    »Sie!« schrie er. »Geben Sie mir das Kollier.«
    »Was für ein Kollier?«
    »Das Sie heute nachmittag in Hempstead gestohlen haben.«
    Das Mädchen richtete sich stolz auf.
    »Sie wagen zu behaupten, daß ich ein Kollier gestohlen habe?«
    »Ja.«
    »So? Und wissen Sie, was ich tun werde, wenn Sie so etwas von mir behaupten? Ich …«
    Sie verstummte. Es hatte diskret an der Tür geklopft.
    »Schatzi!«
    Fanny blickte George an. George blickte Fanny an.
    »Mein Mann!« flüsterte Fanny.
    George war nicht in der Laune, sich von einem gewöhnlichen Mullett
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