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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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Krankengeschichten.»
    «Das ist sehr tapfer.» Er meinte es ehrlich. «Ihren Kopf in so eine Alptraumfabrik hineinzustecken.»
    «Och, es ist nicht so schlimm.» Nun, ihr Lächeln ist ganz nett, entschied Graham. «Man gewöhnt sich rasch an die Burschen. Und es ist doch ein schrecklich gutes Werk, nicht wahr?»
    «Oh, sehr lobenswert», sagte er kühl. Etwas, das mit Leutnant Haileybury zu tun hatte, verdiente herzlich wenig Respekt. «Wie wäre es, wenn Sie mir erlauben würden, Sie zu zeichnen?»
    Sie errötete. Dieser Vorschlag erschien ihr viel zu intim für eine Bekanntschaft, die erst Minuten alt war.
    «Ja, bitte! Wenn es Ihnen nicht gefällt, verbrenne ich es. Ich verspreche es Ihnen. Setzen Sie sich auf den flachen Stein dort. Es dauert keine Minute.»
    «Nein, ehrlich», protestierte sie. «Ich bin kein Bild wert.»
    «Unsinn! Sie werden sogar ein sehr hübsches abgeben.»
    Sie errötete tiefer, setzte sich aber, wie er verlangte. «Darf ich Ihren Namen wissen?»
    «Miss Pollock.»
    «Ich meine Ihren Rufnamen.»
    Keine Antwort. Nach den Regeln des Werbens in einem weniger hastigen Zeitalter war der Austausch von Vornamen ein Meilenstein weit unten am Pfad der Rosen.
    «Verzeihen Sie bitte», entschuldigte sich Graham galant.
    «Edith heiße ich», sagte sie huldvoll.
    «Was für ein hübscher Name!»
    Er zeichnete, bis sie unruhig wurde, dann zeriß er plötzlich das Blatt. «Es war viel zu wenig schmeichelhaft», sagte er auf ihren reizenden kleinen Ausruf der Enttäuschung. «Sie müssen morgen wiederkommen.»
    Graham fand, daß es eine mühevolle, nicht sehr aussichtsreiche Aufgabe sein würde, Edith ohne die üblichen Begleitumstände wie Theater, Bonbons, Blumen, ja sogar ohne Abenddämmerung, den Hof zu machen. Aber nach sechs Monaten fieberhafter Keuschheit mußte er um sie werben. Er bedauerte es sehr, daß der durch die Tuberkulose gesteigerte Metabolismus das Verlangen erhöhte, während die Behandlung die Ausübung verhinderte. Es gingen immer wieder Gerüchte von plötzlicher, unerwarteter Zuvorkommenheit der Krankenschwestern durch das Sanatorium, von merkwürdigen Formen in den Frauenbetten bei Nacht, sogar von Anschlägen auf Schwester Constable persönlich. Sie waren gut für die Moral der Patienten, und wenn sie dem Chefarzt zu Ohren kamen, wies er sie ab. Er glaubte schon lange nicht mehr daran, daß Menschen in seiner und Mutter Naturs Obhut es wagen könnten, sich die Gefühle gewöhnlicher Männer und Frauen zu leisten.
    Einige Nachmittage später, als sie mit dem Rücken zum Sommerhaus in der Sonne saßen und der Vorwand des Zeichnens wortlos aufgegeben war, hielt Graham den Augenblick für gekommen, sie zu küssen.
    «Nein, nein!» protestierte sie automatisch.
    «Aber ich bin nicht im geringsten ansteckend», versicherte er rücksichtsvoll.
    In ihrem Versuchen, zu erklären, daß es darum gar nicht ging, war die erste Stufe zu Ediths Fall bestiegen.
    «Wohnst du direkt im Sanatorium?» fragte Graham, als er die Unterhaltung wieder aufnahm.
    Sie sammelte sich. «Nein, nein. Ich fahre jeden Tag mit dem Rad aus Ramsgate herüber. Mein Vater ist dort Geschäftsmann.»
    «Wirklich? Was für ein Geschäft?»
    Edith pflückte einen Halm aus einem Grasbüschel, hielt ihn zwischen den Daumen fest und blies in ihre gewölbten Hände. Der Ton, den sie dabei erzeugte, schien ihm ausgesprochen unangenehm.
    «Er ist Fleischer.» Sie blies wieder auf das Gras, aber diesmal funktionierte es nicht. «Ich half früher im Geschäft, an der Kasse. Dann lernte ich Maschineschreiben. Ich wollte mich verbessern, weißt du.» Ihm fiel auf, was für eine starke treibende Kraft sich in ihrem feierlichen Ton äußerte. Sie holte mit der Zungenspitze ein Stück Gras aus ihrem Mund und fügte fröhlicher hinzu: «Jedenfalls müssen wir doch alle irgendeine Arbeit für den Krieg tun, nicht wahr?»
    «Mein Vater ist auch ein Fleischer. Na ja, Anatomieprofessor.» Da er sah, daß ihr das so wenig bedeutete, als hätte er gesagt, sein Vater sei Troglodyt, fügte er hinzu: «Er schneidet Leute auf. Tote.»
    «Tote!»
    «Ja, er findet es sehr interessant.»
    «Woher nimmt er sie?» fragte sie entsetzt.
    «Ach, heute müssen sie sie nicht mehr ausgraben. Aus Armenhäusern, Altersheimen, Gefängnissen. Leute ohne Verwandte, ohne Freunde, ohne irgend etwas außer dem Fleisch auf ihren Knochen.»
    Es erregte ihn, sie neben sich zittern zu fühlen. Er hatte ein paar Mädchen mit dieser Bob-Sawyer-Methode gewonnen. Die
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