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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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seelischen Ruin seines Haushaltes versunken.
    Es war eine beunruhigende Zeit, nicht nur für den Professor, sondern für jeden. Wie in Boccaccios Schilderung einer früheren Heimsuchung, frühstückten viele tapfere Männer und viele schöne Frauen mit ihren Familien und aßen schon mit ihren Ahnen in der anderen Welt zu Abend. Ein furchtbarer Grippevirus hatte die Bevölkerung attackiert, als man sich eben gratulierte, dem Tod von Menschenhand entkommen zu sein. Wieder einmal zeigte sich, daß die Natur ihre Kreaturen selbst in der Massenvernichtung übertreffen kann.
    In der Woche des Waffenstillstands hatte Großbritannien zweitausend Menschen durch die Spanische Grippe verloren. Ganze Familien schleppten sich hilflos durch ihre Häuser oder starben miteinander hinter verschlossenen Türen wie zur Zeit des Schwarzen Todes. Gefängnisse und Nonnenklöster litten ohne Unterschied. Die Armee, die einen nur- allzu sichtbaren Feind besiegt hatte, fiel zu Tausenden einem unsichtbaren zum Opfer. Telegramme verständigten die nächsten Angehörigen, daß Menschen gefährlich krank seien, die schon mit blauem Gesicht tot in der Leichenhalle lagen. Lloyd George erkrankte. Lungenentzündung, der «Freund des alten Mannes», stieg in die Fußstapfen der Epidemie und erstickte die Enkel, statt die Großväter von den Qualen der Senilität zu erlösen. Die Leichenbestatter mußten Papiermachésärge verwenden. Die einzige Behandlung, die die Ärzte anzubieten hatten, waren Wickel, um die Schmerzen in der Brust zu lindern, und Stroh auf den Straßen, das den Verkehrslärm dämpfen sollte.
    Professor Trevose hatte an jenem Morgen geniest, fünfmal - er hatte mitgezählt. Nervös und reizbar, wie er war, fürchtete er, der ultramikroskopische Donnerkeil käme auf ihn herab. Seine körperliche Widerstandskraft war sicherlich geschwächt; er hatte sich überarbeitet, als er die Scharen von Studenten, die nach dem Krieg in seine Anatomieabteilung am Blackfriars Hospital strömten, in die richtigen Bahnen lenken mußte. (Die Leichensituation war außerordentlich schwierig.) Seine kostbaren professoralen Gedanken mußten immer noch an ein Heim verschwendet werden, in dem Kohle, Lebensmittel und die Hand einer Frau bitter fehlten. Sein jüngerer Sohn Graham, der zum Sterben in ein Sanatorium geschieht worden war, war mitnichten gestorben, sondern vielmehr verlobt zurückgekommen - mit einem geradezu lächerlich unebenbürtigen Mädchen. Sein älterer Sohn Robin, der nach des Professors Meinung eine angeborene Selbstgefälligkeit mit Frömmigkeit verwechselte, hatte erklärt, er wolle nach seiner Entlassung aus der Armee als medizinischer Missionar in die entlegenen Straits Settlements von Malakka und Singapur entschwinden. Dabei würde er es sicher nicht gerade zu Wohlstand bringen. Der Wasserbehälter über dem Schlafzimmer des Professors war undicht, und der Fleischerjunge war unhöflich gewesen. Nichts als untragbare Ablenkungen von der essentiellen Tranquillität akademischen Lebens, dachte er verärgert.
    Aus dem Frühstückszimmer nebenan tönte Lärm. Seine beiden Söhne stritten wieder einmal.
    Graham und Robin hatten seit ihren Raufereien über Schaukelpferde und Fahrräder über viele Dinge gestritten, aber jetzt, da Graham die neue Berufung seines Bruders nicht ernst nehmen wollte, schwebten ihre Dispute in höheren Sphären.
    «Weißt du, ich habe gar nichts gegen Gott», erklärte ihm Graham freundlich über den Resten seines Frühstücks. «Nicht mehr als gegen jeden anderen distinguierten Herrn, von dem ich viel gehört habe, den ich aber kaum je zu treffen glaube.»
    Robin starrte ihn an. Er trug immer noch die Uniform des Royal Army Medical Corps, hatte breite Schultern, ordentliches schwarzes Haar und eine blühende Gesichtsfarbe — die im Reproduktionsprozeß des Professors durcheinandergeschüttelten Familiengene waren sehr zu seinen Gunsten gefallen. Er fand in Graham reichlich Grund zur Mißbilligung: seine ungestärkten Kragen, seinen Atheismus, seine Faulheit, dieses Mädchen aus dem Sanatorium (noch ehe er sich der Qual unterzog, sie kennenzulernen), vor allem aber seine allgemeine Unterschätzung vom Ernst des Lebens. «Ich bin betrübt, daß du die Existenz der menschlichen Seele verleugnest. Es tut mir ehrlich leid. Es betrübt mich mehr als es mich ärgert, daß du dir den Trost eines jenseitigen Lebens versagst. Hättest du in Frankreich gedient, so wärest du vielleicht mit anderen Ideen
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