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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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selbstverständliche Vertrautheit mit dem Unnennbaren, Unaussprechlichen verleiht jedem jungen Mann eine unverdiente Faszination.
    «Also, ich möchte nicht, daß das mit mir geschieht!»
    «Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Weißt du, mein Vater riecht immer nach Formaldehyd, sogar in den Ferien. Darin legen sie die Leichen ein. Sie hängen sie an den Ohren in Ständern auf, bis sie gebraucht werden, wie Anzüge -»
    Edith beschloß, das Thema zu wechseln. «Er muß furchtbar klug sein, dein Vater. Als Professor und so.» Sie hatte einen natürlichen Respekt vor Intelligenz. «Erzähle mir von deiner Mutter.»
    «Sie starb, als ich noch ein Kind war. Tbc, so wie ich.» Graham schaltete auf einen tragischen Ton um und fügte mit enthusiastischem Pessimismus hinzu: «Wahrscheinlich wird sie mich auch noch holen, letzten Endes.»
    Die Kleiderhaken voller Leichen hatten Edith weich gemacht. Nun schmolz sie. Sie begann zu weinen. «Sag das nicht, Graham! Oh, sag das nicht!»
    Sie wurde aus der düsteren Betrachtung über seinen fernen Tod herausgerissen und mußte mit seiner unmittelbaren Lebendigkeit fertig werden, als sie seine Hand unter ihrem Rock fühlte.
    Eine Woche später stand Graham vor einer Komplikation, die anderen jungen Männern in Kornfeldern oder auf Flößen erspart bleibt. Er wußte, daß er die Wahl zwischen Kopulation und Konvaleszenz hatte. Seine Lebensweise war ganz genau ausbalanciert zwischen Ruhe und vorsichtig ansteigender Aktivität. Er nahm Bleistift und Papier und versuchte, den heißersehnten Energieaufwand in Ediths Armen mit den nüchternen Daten seiner täglichen Bewegungsquote auszudrücken. Wie weit würde der Puls ansteigen? Und die Atmung? Wie sollte man die Muskelbewegung einkalkulieren? Schließlich setzte er es einer Meile Weges in regelmäßigem Tempo auf flacher Strecke gleich.
    Er bereitete sich vor, indem er eine Meile von den vorgeschriebenen drei seines Morgenspaziergangs abstrich und Harry nach Ramsgate schickte, um das nötige Zubehör zu kaufen (ebenfalls auf Kommissionsbasis). Aber Edith schien über den Vorschlag, «ein bißchen Freude» zu machen, entgeistert. Der eifrige junge Mann hetzte sie den Rosenpfad in einer Geschwindigkeit hinab, mit der man das Rettungsboot von Ramsgate vom Stapel ließ. Sie zeigte sich aber bereit, in das Sommerhaus zu gehen. Schließlich hatte es eben zu regnen begonnen.
    Der zugegebenermaßen irreführend einfache Vorfall enthielt so viele Schrecken für das Mädchen, daß Graham fast verzweifelte. Er erklärte angelegentlich, seine medizinischen Kenntnisse machten die meist publizierten Folgen unmöglich. Letzten Endes, überlegte er etwas ungeduldig, hat nicht jede junge Frau das Privileg, von einem Mann defloriert zu werden, der ganze weibliche Becken sezierte. Aber es gab Seufzer und Tränen, Reue und Vorwürfe. Er schund sein Knie arg auf, und in dem engen Raum war sehr viel Staub. Er fühlte, daß er einen hohlen Sieg errungen hatte. Und er sorgte sich furchtbar an diesem Abend, es würde seine Temperatur erhöhen.
    Da Grahams Erfahrung mit dem weiblichen Becken leider weit größer war als seine Erfahrung mit dem Weib als Ganzem, war er völlig unvorbereitet für die Anbetung, die ihm Edith nun entgegenstrahlte. In der heißen Jagd nach der Liebe wurde sie nun der Hase und er die Schildkröte. Er sorgte sich mehr denn je um seine Temperatur. Sie brachte ihm Geschenke - Schokolade, Erdbeermarmelade und Kalbsfußsülze, die, wie jedermann weiß, gut für Tuberkulose ist. Sie brachte ihm auch eine Zärtlichkeit, die er noch nie von einem Mädchen erfahren hatte, von keiner jener Bekanntschaften, die er im Krankenhaus oder in Geschäften gemacht hatte, eine Zuneigung, die ihm weder in seinem mutterlosen Heim noch sonst irgendwo zuteil geworden war, außer im Sanatorium während jener kurzen Zeit, da alle dachten, sie würden ihn eines schönen Tages in die Leichenhalle bringen. Einander im innersten Wesen kennenzulernen machte ihnen fast ebensoviel Freude wie die Erforschung ihrer Körper. Zum erstenmal in seinem Leben hatte Graham das Gefühl, daß jemandem an seinem Leben wirklich etwas lag. Als das Sommerhaus an den Nachmittagen zu kalt wurde, entschloß er sich zu einem ernsten Schritt. Er bat Edith, seine Frau zu werden.
    Sie brach in Tränen aus, stimmte aber zu, ziemlich schnell. Sie beschlossen, nichts davon zu sagen, bis er das Sanatorium als gesunder Mann würde verlassen können. Der Chefarzt hätte sonst zu viele peinliche
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