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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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verlorene Schlacht gegen Sepsis und Blutung - nichts als Chloroform, Eiter und rutschende Aderpressen. Höchst deprimierend. Aber die restituierende Chirurgie ist etwas ganz anderes.»
    Robin legte seine Zeitung entsetzt nieder. «Doch nicht plastische Chirurgie?»
    «Plastische Chirurgie, restituierende Chirurgie, kosmetische Chirurgie, facio-maxillare Chirurgie, nenn es, wie du willst. Im Sanatorium habe ich ein paar Zeichnungen von Olaf Sarasens Patienten gemacht. Sie müssen ihn beeindruckt haben, denn jetzt, wo er in die Stadt gezogen ist, hat er mir geschrieben und die Stelle eines klinischen Assistenten angeboten. Ich treffe ihn heute nachmittag.»
    «Der Sarazene! Du kannst doch unmöglich für diesen Quacksalber arbeiten.» Robin schien über seines Bruders Einstellung zu seinem Beruf noch mehr schockiert als über seine Einstellung zu Gott.
    «Ich glaube nicht, daß er ein Quacksalber ist. Niemand in Blackfriars könnte mehr für seine Patienten sorgen.»
    «Natürlich ist er ein Quacksalber! Ganz London sagt es», entschied Robin. «Nimm Hals, Augen, Orthopädie, was du willst, aber nicht diese triviale Gesichtsspannerei.»
    «Hör zu.» Graham beugte sich über den Tisch. «Weißt du, was der Sarazene tun kann? Er kann Knorpel aus den Rippen nehmen, sie in die Mitte der Stirn transplantieren, warten, bis sie eine neue Blutversorgung entwickelt haben, sie dann herunterziehen und so eine weggeschossene Nase wiederherstellen. Ist das nicht faszinierend? Denk nur - bald werden wir kostbare Finger durch Zehen ersetzen können, rosige Wangen aus den weiten, ungesehenen Flächen des Unterleibs machen, sogar ganze Organe von einem Patienten zum anderen transplantieren können - wenn sie bereit sind, die Unannehmlichkeit auf sich zu nehmen, Siamesische Zwillinge zu werden. Das ist aber ohnedies nicht so schlimm und sicher nicht für sehr lange Zeit. Wenn einmal die Blutzufuhr neugebildet ist, schneiden wir sie einfach auseinander wie zwei Papierpuppen.»
    Graham Trevose hatte Phantasie. Dies war eine unter Medizinern ungewöhnliche und wahrscheinlich sogar ausgesprochen gefährliche Eigenschaft.
    «Die Leute werden uns nicht mehr an der Brightschen Krankheit mit Schrumpfnieren sterben», fuhr er begeistert fort. «Wir werden einfach eine neue Niere von einem verurteilten Kriminellen oder sonst einem bereitwilligen Spender übertragen. Die plastische Chirurgie wird die ganze Medizin an den Ohren packen, sie aufrütteln und revolutionieren wie Mortons Äther oder Listers Karbolnebel. Du wirst noch an meine Worte denken.»
    «Blödsinn», sagte Robin.
    Graham zuckte die Schultern. «Wenn es mir nicht gefällt, kann ich nach sechs Monaten immer noch eine andere Stelle bekommen.»
    «O nein. Nicht, nachdem du für einen Abenteurer wie Olaf Sarasen gearbeitet hast.»
    «Zum Teufel!» sagte Graham wütend, warf seine Zigarette ins Feuer und stürmte aus dem Zimmer.
    Der Professor hörte die Tür zuschlagen und zupfte ärgerlich an seinem Schnurrbart. Es war kein Friede im Hause, seit die Burschen heimgekommen waren. Akademische Beschaulichkeit war so viel leichter gewesen, als der eine im Schützengraben und der andere auf dem Sterbebett lag. Und schon war wieder Gefahr im Verzug. Er sollte sie so bald wie möglich abzuwenden versuchen. Professor Trevose zog wieder den Klingelzug, um das kleine Dienstmädchen mit der Akne zu rufen.

5

    Graham machte sich in seinem liebsten Transportmittel auf den Weg zu dem Sarazenen, gut eingemummt im vordersten Sitz auf dem Dach eines offenen Autobusses. Die Hauptstadt beruhigte sich wieder nach all dem Fahnenschwingen beim Waffenstillstand, aber es war noch eine Menge von Militärfahrzeugen auf den Straßen und Khakiuniformen auf den Gehsteigen. Außer den Tommies waren da noch Kanadier, Australier und Amerikaner, die auf ein Schiff zur Heimfahrt warteten, nichts weiter zu tun hatten und manchmal mit den Behörden in Konflikt gerieten. Man sah auch noch Frauen in Khakimützen und schlotternden Uniformjacken. Aber der Grippevirus hatte die Erregung aus der Luft vertrieben. Die Leute eilten mit schützend um Mund und Nase gezogenen Schals durch die Gegend, und wenn einer nieste, wurde er mit jenem empörten Mißtrauen betrachtet, das man bis vor kurzem für mögliche Spione und Hochverräter reserviert hatte.
    Graham fand den Sarazenen glatzköpfig und überraschend dick. Er rauchte eine Zigarre, die er an einem großen Aschenbecher in der Form eines amerikanischen Adlers abklopfte.
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