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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen
Autoren: Daniele Varè
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unterdessen wurde unser Zug zusammengestellt. Inzwischen sahen Kuniang und ich zu, wie Elisalex’ Waggon an den Zug nach Mandschuli angekoppelt wurde.
    Wir sprachen nicht viel. Es hatte zu regnen begonnen, und in aller Herrgottsfrühe bietet ein kleiner Bahnhof im Norden wenig Anlaß zu Gesprächen. Wir waren sehr schläfrig. Elisalex lächelte uns aus dem Waggonfenster zu, und eine Sekunde, bevor ihr Zug sich in Bewegung setzte, reichte sie Kuniang ein winziges Päckchen, das in Zeitungspapier eingewickelt war.
    «Ein Hochzeitsgeschenk», sagte sie. «Nicht jetzt aufmachen! Erst bis ihr allein seid!»
    Kuniang bedankte sich und winkte, während der Zug westwärts davonrollte.
     
    Unser Abteil im Zug nach Dairen war zum Ersticken voll mit Russen, deren halbgegerbte Stiefel zum Himmel stanken. Wenige Minuten vor der Abfahrt ereignete sich ein unbedeutender, aber widerwärtiger Zwischenfall. Ein kleiner, vielleicht fünfjähriger Junge — er hatte keinen Sitzplatz — kletterte auf den Knien seiner Eltern und anderer Passagiere herum, glitt aber plötzlich aus und fiel mit voller Wucht auf einen Korb, der auf dem Boden stand. Der Korb war mit schmutzigen Fetzen umwunden, und das spitze Ende einer schlechtgeöffneten Konservenbüchse ragte hervor. Gerade darauf stürzte das Kind und riß sich das Handgelenk blutig. Daraufhin brach ein Höllenlärm los. Das Kind heulte. Die Mutter heulte. Der Vater packte es und schrie. Die übrigen gaben in den verschiedensten Sprachen gute Ratschläge. Unterdessen blutete der Junge alles und jeden an.
    Endlich verließen die Eltern mit dem Kind das Abteil, um ärztliche Hilfe zu suchen; daraufhin — ich weiß nicht warum — warf ein geschäftiger, kurzangebundener Eisenbahnbeamter sämtliche Insassen des Abteils bis auf Kuniang und mich hinaus. So fuhren wir los, mit einem Abteil für uns allein.
    Kuniang war etwas erregt von der Szene mit dem verwundeten Kind, dessen blutendes Handgelenk ihren Rock und Elisalex’ Päckchen besudelt hatte. Sie bat mich, ihr das Suitcase aus dem Netz herunterzuholen. Indessen öffnete sie das Päckchen.
    «Hoffentlich ist nichts Heikles drin», meinte ich.
    Im nächsten Augenblick hörte ich etwas fallen und dann einen schrillen Schrei. Idi drehte rasch den Kopf, um zu erkennen, was geschehen war.
    Kuniang lehnte an der Tür des Abteils. Totenblaß. Anscheinend war sie entsetzt vor etwas zurückgewichen, das zu ihren Füßen lag.
    Ich sah hinunter.
    Im Staub und Schmutz des Waggonbodens funkelte und glitzerte es wie eine lebende Flamme; ein Diamantstern war’s, und auf den Diamanten schimmerte Blut.
     
     
     

Goldene Pantöffelchen
     
    Wir fuhren nicht nach Europa. Der Diamantstern, der blutbesudelt zu Kuniangs Füßen gelegen hatte, rief all das Entsetzen über Pauls Traum wach und ähnliche Erscheinungen wie früher. Erst dachte ich, Ortswechsel und Reisetrubel müßten Kuniang guttun. So reiste ich mit ihr im Anschluß an einen achttägigen Aufenthalt in Star Beach (an der Küste zwischen Dairen und Port Arthur) nach Japan, wo wir eine Zeitlang blieben, und zwar auf der Insel Miyajima, am Japanischen Meer. Es ist eine hübsche Gegend, mit seltsamen Sitten und Gebräuchen. Niemand darf dort geboren werden und niemand dort sterben. Schwangere Frauen werden gebeten, die Insel rechtzeitig vor der Niederkunft zu verlassen. Kranke werden in ein Boot geschafft und auf die Hauptinsel überführt, bis es ihnen besser geht.
    Kuniang wurde allmählich ruhig und zufrieden. Wir machten Segelausflüge längs der Küste lind gingen spazieren, und sie fütterte die zahmen Rehe, die im Bereich der Tempel gehalten werden. Ich schlug vor, eine Kabine auf einem nach Vancouver abgehenden Dampfer zu belegen, aber sie wollte nicht recht. Sie behauptete, Heimweh nach Peking zu haben. Konnten wir nicht ein anderes Mal nach Europa fahren?
    So schifften wir uns auf einem kleinen Dampfer, der «Ajiwa Ma-ru», nach Tang-ku ein und kehrten in das Heim der Fünf Tugenden zurück, kaum einen Monat später, als wir es verlassen hatten.
    Die Boys und Onkel Podger freuten sich über unsere Rückkehr. Sie bekommen nämlich wenig «Schmiergeld», beziehungsweise Leckerbissen, wenn wir verreist sind. Aber auch abgesehen von diesen Erwägungen zweifle ich nicht, daß der freundliche Empfang von Herzen kam.
    Sofort nach unserer Rückkunft versuchte ich, eine Verbindung mit Elisalex herzustellen, um ihr das Alexanderkreuz zurückzuschicken. Kuniang und ich wußten dieses
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