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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen
Autoren: Daniele Varè
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Einsamkeit und Unendlichkeit zu genießen. Aber eines Tages fühlt er sich rätselhaft bedrückt, beinahe ist ihm, als könne er nicht atmen. Er sieht sich um, weil er die Ursache finden will. Und da erblickt er jenseits des welligen Grasbodens eine Linie von Telegraphenstangen. Von nun an ist die Landschaft für ihn nicht mehr das, was sie war.»
    «Denkt der Abt genau so?»
    «Ich glaube. Er hat einiges von der Welt gesehen, kennt die alte Zivilisation Chinas und die neue Zivilisation Rußlands. Von diesen beiden zieht er die alte vor. Aber beide sollen der Mongolei fernbleiben. Wenn er Zusehen müßte, wie sein Land zivilisiert wird — es käme ihm vor wie der Verlust des Paradieses.»
    Einige Augenblicke dachte ich über Elisalex’ Worte nach. Es war ein sonderbares Ideal, das sie da beschrieb, vielleicht sogar ein hoffnungsloses. Dennoch konnte ich den Abt verstehen. Was ich aber nicht verstand, das war die Rolle, die in diesem Kampf ihr zufiel. Wie konnte sie einem solchen Mann Verbündete sein? Mußte sie ihm nicht vielmehr Vorkommen wie der Feind im eigenen Lager? War vielleicht das ihre Tragödie? Schön, von Männern begehrt, und vernachlässigt um eines Ideals willen, an dem die Liebe keinen Teil hat? Den seltsamen Gedankengängen des Abtes mochte sie gar wie die Telegraphendrähte aus Kutuzows Buch erscheinen! Es ist mir aufgefallen, daß in Rußland wie in China die meisten Dramen mit einer Übersteigerung enden.
    Ich fragte: «In welcher Beziehung stehen Sie eigentlich zu dem Fürsten Dorbon Oirad?»
    «Ich war einmal mit ihm verheiratet. Aber ich bezweifle die Gültigkeit dieser Ehe. Ich betrachte ihn nur als meinen Geliebten.»
    «War er gut zu Ihnen?»
    «Das kann man wohl kaum behaupten.» Elisalex lächelte einigermaßen bitter. «Niemand vermag sanfter zu sein, und die wilden Tiere laufen ihm zu wie einstens dem heiligen Franziskus. Aber er kann mit ansehen, daß Menschen, die er liebt, gefoltert werden, und heiter und gleichgültig bleiben.»
    «Sie liebten ihn. Lieben Sie ihn noch?»
    «Meine Gefühle für ihn werden bald nicht viel anders sein als die Ihres Freundes Paul Dysart, hätte er seinen Traum zu Ende gelebt. Ich bin erst fünfundzwanzig, aber ich bin erschöpft. Ich habe zu viel durchgemacht. Mein Empfindungsleben ist müde, als hätte ich nicht eines, sondern viele Leben hinter mir. Und eines dieser Leben war ein Traum, aus dem man mich roh geweckt hat. Aber der Traum war so lebhaft, daß mir ist, als lägen die Jahre meiner Leidenschaft schon hinter mir. Nun möchte ich wach daliegen und ausruhen.»
    Wir schwiegen beide ein Weilchen, dann sagte ich:
    «Ich bemühe mich, mir den Abt als Liebenden vorzustellen. Er ist ein Prachtexemplar von einem Mann, und seine magnetischen Zauberkräfte dürften ihn nur noch anziehender machen.»
    «Als er das erstemal nach Petersburg kam, verloren alle Weiber den Kopf. Ich war stolz darauf, daß er mich gewählt hatte. Doch als er die Stellung im Osten antrat, wollte er mich nicht mitnehmen. Er verliert niemals den Kopf. Seine Leidenschaften steigen nicht über Augenhöhe. Das Gehirn bleibt kühl und unberührt. Er erinnert in mancher Hinsicht an einen Gott. Aber menschliche Liebhaber sind ungefährlicher. »
    «Wie zum Beispiel Rasputin.»
    Elisalex lachte. «Sie finden sicher, daß ich einen sonderbaren Geschmack in der Wahl meiner — wie soll ich sagen — Flirts bewiesen habe!»
    «Sie wirken auf Männer von ungewöhnlichem Magnetismus. Sie haben ja selbst eine ungewöhnlich magnetische Persönlichkeit.»
    «So? Als Dorbon mich verlassen hatte, lernte ich Grischka kennen. Zu jener Zeit war ich keineswegs magnetisch, sondern einsam und verlassen. Diese Bezeichnung besaß, wie Sie ja wissen, einen politischen Hintergrund. Nach ihrem Ende floh ich zu meinem früheren Geliebten auf seine Festung und bat ihn um Hilfe. Er sagte sie mir auch bereitwillig zu. Aber als ich einen Monat dort war, bekam er im Zusammenhang mit mir irgendwelche Befehle oder behauptete es wenigstens. Er sollte mich beseitigen und dafür sorgen, daß man nie wieder von mir höre. Ich habe oft darüber nachgedacht, von wem dieser Befehl ausgegangen sein mag: von der Zarin, von Grischka, von der Ochrana? Manchmal glaube ich sogar, daß Dorbon ihn nur erfunden hat, um mich loszuwerden.»
    «Und was tat er?»
    «Genau das Gegenteil dessen, was man ihm befohlen hatte. Er beseitigte mich nicht und machte meinen Namen in ganz Rußland sprichwörtlich. Und das ist es, wovon Paul
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