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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen
Autoren: Daniele Varè
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meine Renata — bestimmt gut. Andererseits scheint es mir unvorsichtig, sie der Gefahr einer solchen Reise auszusetzen, wenn es nicht unumgänglich nötig ist. Und solange Kuniang in China bleibt, bitte ich Sie, dieses Haus als ihr Heim anzusehen.»
    «Ich bin Ihnen unendlich dankbar. Aber Sie nehmen eine große Verantwortung auf sich. Ich möchte nicht, daß Sie Ihre Güte eines Tages bereuen.»
    «Die Schwierigkeit liegt nicht darin, daß mir Kuniang zuviel Verantwortung aufbürdet, sondern im Gegenteil: Sie wollen mir überhaupt keine Verantwortung zugestehen. Sie schläft hier und ißt hier, aber nicht mir ist sie anvertraut. Sie hat mir erzählt, daß sie einen Kurs der amerikanischen Missionsschule besuchte, aus dem Sie sie jetzt herausgenommen haben.»
    Signor Cante lachte. «Sie hatte wenig übrig für die Schule, und die Schule noch weniger für sie. Sie wollte sich weder für Abraham Lincoln noch für Präsident Wilson begeistern und verwechselte beide mit George Washington.»
    «Besucht sie jetzt einen anderen Unterricht, seit sie aus der Missionsschule ausgetreten ist?»
    «Ich habe die Frau meines russischen Kollegen, der weiter unten in der Gasse wohnt, gebeten, Renata für ein paar Stunden am Tag zu sich zu nehmen. Die Leute sind sehr begabt. Sie singen, musizieren und malen. Ich glaube zwar nicht, daß Renata dort viel lernen wird, aber Matuschka — so heißt die Herrin des Hauses — kann ein Auge auf sie haben wie auf ihre eigene Tochter. Mit Fjodor und Natascha hat Renata seit frühester Kindheit gespielt.»
    Es wäre unfreundlich gewesen, Einwände zu machen, um so mehr als Signor Cante anscheinend glücklich war, daß er jemanden gefunden hatte, der für Kuniangs Fortbildung sorgte. Dennoch konnte ich mich eines Zweifels an der Wahl dieser Lehrmeisterin nicht erwehren. Eine Dame, die Butter mit der Hand anbietet, ist meiner Meinung nach nicht das Ideal, dem man bedenkenlos seine Tochter anvertraut.
    «Finden Sie nicht, daß die Leute ein klein wenig primitiv sind?» fragte ich.
    «In manchen Dingen benehmen sie sich sogar wie die Wilden», entgegnete Signor Cante. «Soviel ich weiß, setzen sie als Altrussen
    — was ist das eigentlich? — ihren Stolz darein, Sitten und Gebräuche aufrechtzuerhalten, die in modernen Häusern lange begraben oder vergessen sind. Ich lege durchaus keinen Wert darauf, daß Kuniang ihre ganze Zeit dort verbringt. Die Leute sind viel zu nachlässig, zu unsauber und leichtsinnig. Ich wohne ja jetzt bei ihnen; aber ich finde sie wirklich nett und gastfreundlich. Sie haben hübsche Schlafzimmer in ihrer Wohnung, schlafen aber fast nie darinnen. Sie verbringen die Nacht halb ausgezogen auf einem Stoß von Kissen, in dem Zimmer, in dem sie gerade gewesen sind. Und manchmal setzen sie sich gar nicht erst zu Tisch, sondern gehen in die Küche stöbern und essen die Speisen halbgar aus den Pfannen. Aber sie haben Kuniang gern und es macht dem Mädel Spaß, hinzugehen.
    Sonst lungert sie mir herum, soviel sie nur kann; darum halte ich diese Lösung für die günstigste, obgleich die Lebensart der Leute bestimmt ungewöhnlich ist.»
    «Jedenfalls — wann immer man mich braucht, ich stehe zur Verfügung. Sie können versichert sein, daß ich mein möglichstes tun werde.»
    Signor Cante dankte und gab mir die Adresse seiner in Siena lebenden Schwester. Dann stand er auf und verabschiedete sich. Noch am selben Abend nahm er den Zug nach Kai-feng Fu.
     
     
     

4
     
    Obgleich die Sache mich wirklich nichts anging, war mir nach Signor Cantes Beschluß, seine Tochter tagsüber zur russischen Familie zu schicken, ähnlich zumute wie Baloo, als ihm die Affen Mowgli entführt hatten. Selbst Kuniang mußte zugeben, daß Matuschka und ihr Gatte, der natürlich Patuschka hieß, an die Bandarlog gemahnten. Doch sie fand das Leben in der neuen Umgebung aufregend, zwar nicht immer erfreulich, aber jedenfalls besser als die Langweile zu Hause.
    Ich habe nie herausbekommen, was sie dort lernte — wenn überhaupt etwas. Aber des Morgens marschierte sie ab, nach dem Mittagessen wieder, und oft kam sie erst zur Schlafenszeit nach Hause.
    Sie sah gut aus, schien zufrieden und leicht amüsiert, und ich mußte im großen und ganzen zugeben, daß die Sache klappte. Das einzige, was mir auffiel und bewies, daß man sich doch nicht genug um sie kümmerte, war eine gewisse Nachlässigkeit ihrer Kleidung. Solange Kuniang die Klosterschule besuchte, hatten die Nonnen zweifellos ihre Toilette bis zu
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