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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig
Autoren: Georges Simenon
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seine Hose bügelt und mit ihren lackierten Fingernägeln ein paar Flecken wegkratzt. Dann beobachtet er die Neue. Sie legt auf dem kleinen Tisch die Manikürgeräte zurecht, mit denen sie noch nicht umzugehen versteht.
    Auf ihrem noch zarten Nacken, dessen feine Haut ihn an ein Huhn denken läßt, fallen ein paar widerspenstige Haare, die sie immer wieder mechanisch nach oben streicht.
    Sissy macht das oft ebenso, wenn sie die Treppe hinunter- oder heraufgeht.
    Die Neue nennt ihn Herr Frank. Lotte hat es ihr schon beigebracht. Aus Höflichkeit fragt er sie nach ihrem Namen.
    »Minna.«
    Ihr Rock ist gut geschnitten, der Stoff ist noch fast neu, und sie macht einen sauberen Eindruck. Hat sie schon einmal etwas mit einem Mann gehabt? Vermutlich. Sonst wäre sie nicht zu Lotte gekommen. Aber sie hat sich gewiß noch nicht für Geld mit jemandem eingelassen.
    Wenn nachher ein Kunde kommt, wird Frank auf den Küchentisch klettern. Er ist jetzt schon sicher, daß sie, wenn sie im Unterkleid dasteht, sich zur Wand drehen wird und lange an den Trägern nesteln wird, bevor sie sich nackt auszieht.
    Sissy ist drüben in der anderen Wohnung. Wenn man die lange Treppe heraufkommt, ist rechts und links eine Tür, bevor man in den Flur tritt. Manche Mieter haben eine ganze Wohnung, andere nur ein Zimmer; es geht noch drei Stockwerke höher. Die ganze Zeit hört man Leute hinauf- und hinabgehen. Die Frauen tragen Netze, Pakete; je höher sie steigen desto mühsamer wird es für sie. Eine Frau von erst dreißig Jahren ist vor ein paar Tagen auf den Stufen ohnmächtig geworden.
    Er ist noch nie bei den Hoists gewesen. Er hat schon in manche Wohnungen hineingesehen, denn die Mieter lassen manchmal ihre Tür offenstehen. Frauen waschen im Flur ihre Wäsche, obwohl der Wirt das untersagt hat.
    Überall herrscht tagsüber eine rücksichtslose, um nicht zu sagen eisige Helligkeit, denn die Fenster sind hoch und groß, Treppenhaus und Korridore weiß gestrichen, und der Schnee von draußen reflektiert sich im ganzen Haus.
    »Können Sie Klavier spielen?« fragt Lotte die Neue.
    »Ein bißchen.«
    »Nun, dann spielen Sie etwas.«
    Heute abend wird Lotte du zu ihr sagen, aber am Anfang redet sie die Mädchen immer mit Sie an.
    Lotte ist rotblond und hat noch kein einziges weißes Haar; ihr Gesicht ist jung geblieben. Wenn sie nicht so viel äße und dadurch so fett wäre, wäre sie sehr hübsch, aber sie kümmert sich nicht um ihre Linie, im Gegenteil, sie scheint ganz glücklich darüber zu sein, daß sie dick wird. Vermutlich läßt sie absichtlich ihren Morgenrock immer halb offen, so daß ihre beiden starken, weichen Brüste, die bei jeder Bewegung beben, sichtbar werden.
    »Deine Hose ist gebügelt. Gehst du aus?«
    »Ich weiß es noch nicht.«
    Manchmal möchte er gern den ganzen Tag schlafen. Aber das ist nicht möglich, denn man muß die Zimmer machen, und oft läutet schon mittags ein Kunde. Frank trifft sich mit seinen Freunden selten vor fünf Uhr. Alle seine Bekannten fangen erst gegen Abend an, wirklich zu leben, und so trödelt er oft stundenlang umher.
    Häufig hält er sich auch ungewaschen und ungekämmt in der Küche auf, stemmt die Füße gegen den Herd, steckt sie gar in den Backofen hinein, liest irgendeinen Schmöker und klettert manchmal auf den Tisch, wenn er Stimmen im Zimmer hört.
    Ohne sich dessen recht bewußt zu sein, streicht er heute ständig um die Neue herum, die gar nicht so schlecht Klavier spielt. In Wirklichkeit beschäftigt er sich jedoch nicht mit ihr, sondern muß immer wieder an Holst und Sissy denken, und das versetzt ihn in eine schlechte Stimmung. Er schätzt es nicht, wenn ein Gedanke ihm so zusetzt wie eine Fliege bei gewittriger Luft.
    »Frank, es hat geläutet.«
    Das Klavier hat das Klingeln fast übertönt. Lotte räumt das Bügelbrett und das Bügeleisen fort, vergewissert sich, daß alles in Ordnung ist, und sagt dann zu Minna: »Spielen Sie weiter.«
    Sie öffnet die Tür halb, erkennt den Besucher und murmelt wenig begeistert:
    »Ach, Sie sind’s, Herr Hamling. Kommen Sie herein. Lassen Sie uns allein, Minna.«
    Sie hält ihren Morgenrock mit einer Hand zu und schiebt dem Besucher einen Stuhl hin.
    »Setzen Sie sich. Vielleicht ziehen Sie besser Ihre Gummischuhe aus.«
    »Ich werde nicht lange bleiben.«
    Minna ist in die Küche zu Frank gegangen. Nebenan macht Berta das Bett. Die Neue ist unruhig und nervös.
    »Ist es ein Kunde?« fragt sie.
    »Der Polizeikommissar.«
    Die Auskunft
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