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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig
Autoren: Georges Simenon
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passiert, noch an einer Stelle, die die anderen kennen. Man hat keine Beweise. In dieser Hinsicht kann sich jeder mit irgend etwas brüsten.
    »Sie hatte dicke Brüste, fast keine Nase und helle Augen …« sagte er.
    Bei dieser Beschreibung ist er immer geblieben. Aber er hat jedesmal andere Einzelheiten hinzugefügt.
    »Es war in einer Scheune.«
    Aber was tat Kromer, der nie Soldat gewesen ist und das Land haßt, in einer Scheune?
    »Wir hatten im Stroh zusammen geschlafen, und die ganze Zeit haben mich die Halme gekitzelt und mich in schlechte Stimmung versetzt …«
    Kromer erzählt diese Geschichte, während er an seiner Zigarre zieht und wie aus Bescheidenheit abwesend vor sich hinblickt. Es ist da noch eine Einzelheit, die er immer wieder genauso erzählt. Es ist etwas, das die Frau gesagt hat.
    »Ich möchte ein Kind von dir haben.«
    Er behauptet, dieses Wort habe alles ausgelöst. Der Gedanke, ein Kind von diesem dummen, schmutzigen Mädchen zu haben, mit dem er sich dort vergnügt habe, sei ihm grotesk und unmöglich erschienen.
    »Völlig unmöglich.«
    Und daß sie immer zärtlicher geworden sei und sich immer dichter an ihn geschmiegt habe. Schließlich habe er, ohne die Augen schließen zu brauchen, einen riesigen blonden, bleichen Kopf ohne Gesicht vor sich gesehen, der der seines Kindes und des Mädchens gewesen sei.
    Kommt das, weil Kromer braun ist, hart wie ein Baum?
    »Das hat mich angewidert«, sagt er jedesmal und läßt dabei die Asche seiner Zigarre fallen.
    Er ist ein Schlaukopf, er weiß, wie er sich benehmen muß. Er hat Ticks, die ihn interessant machen.
    »Ich habe es für sicherer gehalten, die Mutter zu erdrosseln. Es war das erstemal. Nun, das ist sehr einfach und macht einem nichts weiter aus.«
    Nicht nur Kromer ist ein Mörder. Wer von Timos Gästen hat nicht mindestens einen Menschen umgebracht! Im Krieg oder sonst wann. Oder nur auf eine Denunziation hin, was das einfachste ist. Man braucht nicht einmal dabei mit seinem Namen zu unterschreiben.
    Timo, der sich damit nicht brüstet, hat bestimmt Unzählige umgelegt, sonst würde die Besatzungsmacht nicht sein Lokal die ganze Nacht offenlassen, ohne zu kontrollieren, was dort vorgeht. Obwohl die Fensterläden immer geschlossen sind und man durch den Flur kommen und sich durch Klopfen an die Tür zu erkennen geben muß, sind die nicht so einfältig, daß sie nicht Bescheid wüßten.
    Als Frank zum erstenmal ein Mädchen hatte, war das für ihn eine ganz belanglose Sache. Die Umstände waren eben günstig. Andere machen daraus eine Geschichte, die sie jahrelang erzählen und immer mehr ausschmücken, wie Kromer die Geschichte von dem Mädchen, das er in der Scheune erdrosselt haben will.
    Als Frank mit neunzehn Jahren seinen ersten Mord begeht, ist das für ihn kaum wichtiger als die Sache mit dem Mädchen. Auch diesmal ist es nicht geplant gewesen. Es hat sich aus den Umständen ergeben. Man könnte sagen, es kommt ein Augenblick, da es unerläßlich und natürlich ist, eine Entscheidung zu fällen, die in Wirklichkeit schon längst gefällt ist.
    Niemand hat ihn dazu getrieben. Man hat nicht über ihn gelacht. Es sind übrigens nur die Dummköpfe, die sich von ihren Kumpanen beeindrucken lassen.
    Seit Wochen, vielleicht seit Monaten, sagte er sich, weil ihn eine Art Minderwertigkeitsgefühl plagt: »Ich werde es versuchen müssen …«
    Nicht in einem Streit. Er ist nicht streitsüchtig. Das, worauf es ankommt, muß nach seiner Meinung mit kalter Überlegung getan werden.
    Die Gelegenheit hat sich eben geboten. Kam das, weil er innerlich schon auf der Lauer lag?
    Sie saßen bei Timo an ihrem Tisch in der Nähe der Theke. Auch Kromer war dabei in seinem Pelzmantel, den er selbst in überheizten Räumen anbehält, und natürlich auch mit seiner Zigarre und seiner fettig glänzenden Haut und seinen großen Augen, die tatsächlich an die eines Stiers erinnern. Kromer muß sich einbilden, er sei aus einem anderen Stoff gemacht als andere Sterbliche, denn er macht sich nicht die Mühe, die großen Geldscheine in seine Brieftasche zu stecken, sondern stopft sie einfach bündelweise und zerknittert in seine Taschen.
    Neben Kromer saß jemand, den Frank noch nicht kannte, ein Kerl aus einem anderen Milieu, der, anstatt sich vorzustellen, sagte: »Nennt mich Berg.«
    Er schien mindestens vierzig Jahre alt zu sein. Er war kühl und zurückhaltend. Aber es ging etwas Besonderes von ihm aus. Weshalb auch Kromer sich ihm gegenüber fast
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