Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
durchsucht hätte. Aber das ist schon lange her. Auch das mit den Geiseln. Man könnte sagen, die Menschen auf beiden Seiten der Barriere seien gelassener geworden. Aber gibt es überhaupt noch eine Barriere?
    Man tut jedenfalls noch so …
    Ein lasterhafter Kerl weniger. Was kann das für sie bedeuten? Sie müssen doch gewußt haben, was er wert war. Das Verschwinden des Revolvers wird sie stärker beunruhigen, denn der, der ihn an sich genommen hat, könnte auf den Gedanken kommen, ihn gegen sie zu benutzen. Schließlich haben auch sie Angst. Alle haben Angst. Zwei, drei Autos fahren vorüber und kommen wieder zurück. Ein weiteres fährt von Haus zu Haus. Aber das geschieht nur zum Schein. Es wird sich nichts ereignen. Vorausgesetzt natürlich, daß Holst den Mund hält. Aber der wird schon nichts sagen. Auf ihn kann er sich verlassen. Das ist es: nun hat er die Erklärung. Das Wort ist vielleicht nicht ganz richtig, aber es drückt ungefähr das aus, was er gestern abend verworren gedacht hat: er kann sich auf Holst verlassen.
    Holst schläft gewiß noch. Nein, zu dieser Stunde ist er schon auf. Er wird hinuntergehen, denn wenn er keinen Dienst hat, stellt er sich in der Schlange an.
    Auch Lotte stellt sich für diese oder jene Lebensmittel an, das heißt, sie schickt eins der Mädchen. Nicht für alle. Selbst für sie lohnt sich das bei manchem.
    Alle Türen in der Wohnung stehen offen. Der Ofen in der Küche strahlt seine Wärme in alle Zimmer aus. Notfalls würde er allein genügen. Und dann verbreitet sich der Duft des echten Kaffees.
    Auf der anderen Seite der Küche, zum Treppenhaus hin, genau links von der Treppe, befindet sich der Maniküresalon, in dem ein Dauerbrenner steht.
    Jeder Ofen, jedes Feuer hat seinen eigenen Geruch, sein eigenes Leben, seine mehr oder weniger merkwürdigen Geräusche. Der im Salon riecht nach Linoleum, und man sieht dabei das Zimmer mit den gewachsten Möbeln, dem Klavier und den Spitzendeckchen auf kleinen Tischen und Sessellehnen vor sich.
    »Die Lasterhaftesten«, sagt Lotte, »sind die ehrbaren Bürger, und die ehrbaren Bürger treiben ihre kleinen Schmutzereien gern in einer Atmosphäre, die sie an ihr Zuhause erinnert.«
    Darum sind die beiden Maniküretische winzig, sozusagen unsichtbar. Dagegen lehrt Lotte die Mädchen Klavier mit einem Finger zu spielen.
    »Wie ihre Töchter, verstehst du?«
    Das Zimmer, das große Zimmer, wie er es nennt, in dem Lotte in diesem Augenblick schläft, ist mit einem Teppich ausgelegt, hat schöne Vorhänge, und überall liegen Kissen und Decken umher.
    »Wenn ich mir das Bild ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Frau und ihrer Kinder beschaffen könnte, wäre ich steinreich«, behauptete Lotte.
    Ob sie den Eunuchen endlich fortgeschafft haben? Wahrscheinlich. Das Hin- und Herfahren der Autos hat aufgehört. Gerhard Holst mit seiner langen, vor Kälte blauen Nase wird mit dem Einkaufsnetz in der Hand unbeweglich und würdevoll in irgendeiner Schlange stehen. Manche finden sich damit ab. Manche nicht. Frank ist nie dazu bereit gewesen. Um nichts in der Welt würde er sich in einer Schlange anstellen.
    »Andere, ganz andere als du stehen da«, hat ihm seine Mutter einmal gesagt, die ihn hochmütig findet.
    Kann man sich Kromer in einer Schlange vorstellen? Und Timo? Und diesen oder jenen?
    Hat Lotte Kohle? Ihre erste Sorge, wenn sie sich gleich erhebt, wird das Essen sein.
    »Bei mir gibt es zu essen«, hat sie einmal einem Mädchen geantwortet, das sich noch nie gewerbsmäßig mit Männern eingelassen hatte und sie fragte, wieviel sie in dem Haus verdienen Würde.
    Und das stimmt. Es gibt zu essen. Man ißt nicht, man füllt sich den Bauch, vom Morgen bis zum Abend. Auf dem Küchentisch steht immer etwas Eßbares, und man könnte eine ganze Familie mit den Resten ernähren.
    Es ist eine Art Spiel geworden, die kompliziertesten Gerichte zu bereiten, zu denen besonders viel Fett oder anderes, was es nirgends gibt, gehört.
    »Speck? Geh mal zu Kopotzky und sag ihm, ich werde ihm Zucker bringen.«
    »Und wie wäre es außerdem noch mit Champignons?«
    »Nimm die Straßenbahn und fahr zu Blang. Sag ihm, daß …«
    Jede Mahlzeit ist eine Herausforderung zur Wette. Denn durchs ganze Haus gehen die Küchendämpfe, kommen durch Schlösser und unter den Türen hindurch. Am liebsten ließe man sie offen. Während dieser Zeit begnügen sich die Hoists mit Rindsknochen und Kohl.
    Warum muß er immer wieder an Holst denken? Frank steht auf. Er hat jetzt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher