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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum
Autoren: Jane Urquhart
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in ihrer Arbeit geschrieben hatte. Chiaroscuro.

    Zurück in der Küche, machte ich Tee, und Sie erwähnten noch einmal den Gebetsraum. »Dort drüben«, fingen Sie an, »brauchten wir … die nordamerikanischen Muslime am Stützpunkt … wir brauchten etwas, irgendeine Verbindung zu unserer Welt.« Immer wieder hätten Sie das Bedürfnis empfunden, diese Verbindung zu festigen, sagten Sie, wenn Sie das Gebet leiteten oder mitten im Manöver waren, manchmal sogar beim Zusammensein mit Mandy. Es nahm zu, dieses Bedürfnis, wenn Sie in unvorstellbarer Hitze durch die afghanischen Straßen gingen und die stille Hingabe von Menschen in den Klauen des Chaos sahen.
    Ja, sagte ich und wusste, dass Mandy nur außerhalb dieser Welt, dieses Bedürfnisses gestanden haben konnte.
    Und als hätten Sie meine Gedanken gelesen, sagten Sie: »Wissen Sie, unsere Welten, Mandys und meine, überkreuzten sich immer nur auf dem einen oder anderen Stützpunkt – wo das war, Petawawa oder Kandahar, spielte eigentlich keine Rolle. Aber was mich spirituell geöffnet hat, war seltsamerweise Kandahar.«
    Wieso seltsamerweise , dachte ich und fragte.
    »Ich bin Muslim, und dort war ich in einem islamischen Land. Erst dort, in Afghanistan, wurde mir klar, dass ich immer ein Muslim in der Fremde sein werde.« Und genau in dieser Entfremdung, sagten Sie, dem Gefühl, am falschen Ort zu sein, vernahmen Sie die Musik der Gemeinschaft. Den Gebetsruf.
    »Und Mandy war nicht so.«
    »Wie denn auch?« Sie sahen sich im Raum um, blickten aus dem Fenster. »Was sie war, wurde sie hier.«
    »Deshalb konnten Sie sie nicht lieben.« Vor meinem geistigen Auge sah ich Mandy, als stünde sie leibhaftig vor mir. Nein, ich glaube nicht, dass er mich liebt, er hat es kein einziges Mal gesagt .
    Sie schwiegen, man sah Ihnen an, wie es Sie quälte. »Natürlich habe ich sie geliebt«, sagten Sie, »aber wir hätten nach dem Ende unseres Einsatzes niemals das Leben des anderen teilen können.« Jetzt hatten Sie keine Tränen in den Augen, und das ließ Ihre Worte noch verzweifelter klingen. »Wie hätte ich mit ihr über diese Liebe reden können, wenn ich gleichzeitig wusste, dass ich sie niemals ganz in mein Leben holen konnte? Dieses Steinhaus, diese Wiesen, diese Plantagen voller blühender Bäume, das hat sie doch geprägt, von Grund auf. Und diese Selbstverständlichkeit – aufzuwachsen, ohne sich je fragen zu müssen, wohin man gehört.« Ihre Ellenbogen waren auf den Küchentisch gestützt, die Hände erhoben. Sie hielten sie, die Handflächen nach innen gekehrt, in einem Abstand von vielleicht zwanzig Zentimetern, wie um eine Größe anzugeben.
    »Ich wünschte – und Sie wissen nicht, wie sehr – ich wünschte, Sie hätten Mandy das gesagt.«
    »Liz«, sagten Sie leise und wandten den Blick ab, »das musste ich ihr nicht sagen. Das wusste sie.«
    Ich stand auf und ging zu Ihrer Seite des Tisches hinüber. Ich nahm Ihre Hand, und Sie erhoben sich ebenfalls. »Schauen Sie aus dem Fenster, Vahil«, sagte ich. »Die Anbauflächen dieser Farm sind mittlerweile so vollständig verwildert, dass mir schon Zweifel kommen, ob die Felder und Plantagen je außerhalb meiner Erinnerungen, meiner Fantasie existiert haben.«
    Sie drehten sich um und gingen mit mir zum Küchenfenster. Sie standen vor der Fensterscheibe, ich ein Stück hinter Ihnen. Sie blickten hinaus, dann zurück zu mir, dann wieder hinaus. »Ja«, sagten Sie. »Mandy hat mir erzählt, dass nach dem Verschwinden ihres Vaters … «
    Und dann erzählte ich Ihnen alles, bis tief in die Nacht hinein.

E s ist fast drei Wochen her, dass Sie hier waren, und ich war unterdessen viel mit dem Vermessen von Flügeln beschäftigt, einer Tätigkeit, die Ihnen vielleicht exotisch vorkommt, in der Realität aber recht ermüdend ist. Ich muss gestehen, dass die Monarchfalter ziemlich gleich aussehen, wenn einem einmal hundert durch die Hände gegangen sind. Allerdings ist es so, dass unsere Markierungen – die leider nur sehr selten die Informationen liefern, die wir haben wollen – unter Umständen einen Schmetterling, der für sein Gewicht zu klein oder zu schwach ist, am Erreichen seines Ziels hindern: Diese Vermessungen sind also durchaus nicht unwichtig. Glück ist letztlich mächtiger als Schicksal, so scheint es jedenfalls, und wir Wissenschaftler tun alles in unserer Macht Stehende, um das Risiko zu minimieren.
    Im Wald hinter der Forschungsstation hat sich ein Helmspecht niedergelassen, der sich tagsüber
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