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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher
Autoren: Howard Norman
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schließlich Middle Economy. Der Zustand des Autos zwang mich, langsam zu fahren. Die ganze Reise dauerte ungefähr viereinhalb Stunden.
    Das Haus meiner Tante und meines Onkels lag einen knappen Kilometer landeinwärts vom Minas Basin an der Cove Road. Ich bekam das Gästezimmer. In diesem ersten Jahr fuhr ich fünf- oder sechsmal nach Halifax, aber ich schlief nie im Haus meiner Eltern in der Robie Street, ja ich fuhr nicht einmal vorbei. Ich übernachtete im Baptist Spa an der Ecke Morris und Barrington Street für einen Dollar fünfundzwanzig Cent die Nacht. Die Toilette war draußen am Gang. Frühstück gab es unten in einem kleinen Esszimmer.
    Aber an dem Abend bevor ich Halifax verließ, sagte mir
mein Nachbar Mr. Lessard, ein freundlicher älterer Herr, dass er bereit sei, nach meinem Haus zu sehen, den Rasen zu mähen, die Sträucher zu schneiden, mir die Post nachzuschicken – viel würde ohnehin nicht kommen – und abends ein paar Lichter einzuschalten. »Zu dem blühenden Nachtleben von Halifax gehören in letzter Zeit auch Einbrüche«, erklärte er.
    »Ich mache mir da keine großen Sorgen«, antwortete ich.
    »Also, ich hab Katherine und Joe gemocht«, sagte er. »Und Zeit genug hab ich auch. Ich mach ja jetzt meinen Morgenspaziergang zum Hafen und zurück nicht mehr. Aber zum Haus nebenan kann ich immer noch rübergehen.«
    »Ich weiß das wirklich zu schätzen«, versicherte ich.
    »Da wär nur eine Sache, und dafür bräuchte ich deine Erlaubnis«, sagte er. »Ich würd gern einmal alle Radios deiner Mutter gleichzeitig einschalten, wenn gerade die Classical Hour aus Buffalo übertragen wird. Ich werd nie ein Konzert mit einem richtigen Orchester erleben – aber das wär ein ganz guter Ersatz, glaub ich. Reese Mac Isaac ist nach New York gegangen, keiner weiß für wie lange. Die Radios werden sie also nicht stören. Ich weiß zwar noch nicht, wie man’s schafft, sie alle einzuschalten, ohne dass die Sicherungen im Haus rausfliegen, aber jemand von Metcalf ’s Electric würde mir helfen.«
    »Ich habe sicher nichts dagegen«, sagte ich.
    »Ich mach das nur ein Mal«, versicherte Mr. Lessard. »An einem Sonntagabend, da kommt nämlich die Classical Hour . Ich seh das Programm in der Zeitung durch und such mir dann einen Sonntag aus. Ich nehm sicher keinen Abend, an dem sie den verdammten Vivaldi spielen. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Beethoven, Johann Sebastian Bach und ein paar andere – die wären mir recht. Soll ich dir dann sagen, an welchem Sonntag ich alle Radios auf einmal einschalte?«

    »Nicht nötig«, antwortete ich.
    »Na gut, Wyatt«, sagte er. »Dann viel Glück. Ich kümmer mich hier um alles. Vivaldi kommt mir jedenfalls nicht ins Haus. Nicht solange ich drauf aufpasse.«

BIST DU SICHER, DASS DU WORT FÜR WORT MITGESCHRIEBEN HAST, WAS SIE IM RADIO GESAGT HABEN?
    Middle Economy liegt zwischen Upper Economy und Lower Economy. Upper Economy ist die Ortschaft im Westen. Dort in der Gegend hat man damals scherzhaft gesagt, wenn du entlang des Minas-Beckens von Westen nach Osten fährst, dann werden deine finanziellen Aussichten mit jeder Meile schlechter, bis du eben in Lower Economy landest. Umgekehrt habe ich den Scherz nie gehört, obwohl es eigentlich logisch wäre – dass du reich wirst, wenn du von Ost nach West fährst. Ich schätze, es war einfach nicht die Art der Leute, die in diesem Teil von Neuschottland geboren und aufgewachsen sind, es so auszudrücken.
    Ich hatte Tilda fast vier Jahre nicht gesehen, seit dem Sommer 1937, als sie in die neunte Klasse ging. Sie war mit meiner Tante und meinem Onkel nach Halifax gekommen, weil Constance sich einen Zahn ziehen lassen musste, und sie übernachteten bei uns. Obwohl meine Tante ziemliche Schmerzen hatte, war es doch ein nettes Familientreffen. Ich erinnere mich aber, dass mein Vater und mein Onkel nach dem Abendessen im Wohnzimmer saßen und sehr ernst über Hitler und Deutschland diskutierten und über verschiedene Radioansprachen, die Winston Churchill gehalten hatte. Meine Mutter saß mit meiner Tante draußen auf der Veranda; sie versorgte sie mit Aspirin
und half ihr, ihre Zahnschmerzen zu ertragen. Tilda und ich spielten ein spannendes Damespiel am Esstisch, da hörten wir auf einmal meine Tante ausrufen: »Stöhn!«, gefolgt von einem richtigen Stöhnen. Wir mussten beide lachen, wenn auch mitfühlend. Und wir belauschten, was mein Vater und mein Onkel redeten. »Mein Dad hat mehr Ansichten über das
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