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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher
Autoren: Howard Norman
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zu versuchen.‹ Ich fragte ihn nach seinem Namen, und er sagte Joseph Hillyer. Dann sagte ich: ›Joseph, mögen Sie die Steaks im Halloran’s?‹ Weil sie uns in unserer Ausbildung beibringen, dem Menschen möglichst ganz normale Dinge ins Gedächtnis zu rufen. Man erwähnt zum Beispiel ein beliebtes Restaurant. Oder man fragt ihn, welche Kirche er besucht. Aber Ihr Vater hat trotzdem losgelassen.«
    Ich ging wieder hinein und machte die Tür zu. Durch das Fenster sah ich, wie Officer Padgett in seinen Wagen einstieg. Es gab eigentlich keinen Grund dafür, aber er schaltete seine Sirene ein, als er die Straße hinunterfuhr.
    Natürlich kamen auch meine Tante Constance Bates-Hillyer und mein Onkel Donald Hillyer aus Middle Economy zum Begräbnis. Sie blieben noch länger, um mir zu helfen, einige Dinge zu regeln, vor allem was das sogenannte Vermögen meiner Eltern betraf. Es bestand aus dem abbezahlten Haus in der Robie
Street, einer bescheidenen Lebensversicherung, einem Sparbuch mit 1334 Dollar und der Radiosammlung meiner Mutter. »Ich habe absolut keine Ahnung, was diese Radios wert sind oder wie man das feststellen kann«, meinte mein Onkel. »Aber darum kümmern wir uns später.«
    Insgesamt hatte meine Mutter achtundfünfzig Radios. Fast jeden Abend hatte ich in meinem Zimmer die Klänge von Stimmen oder Musik aus dem Radio gehört, und das oft sehr laut, wenn meine Eltern nicht wollten, dass ich mitbekam, wie sie sich stritten. Zu ihrer Sammlung gehörte zum Beispiel ein International Kadette aus dem Jahr 1938, ein weißes Silvertone, vier verschiedene Modelle mit Bakelitgehäusen und ein Philco Transitone. Außerdem besaß sie zwei Fada-Radios, ein 1939er RCA von der Golden Gate International Exposition in San Francisco (die sie nicht besucht hatte), ein Zenith 835 und einige andere Radios mit Holzgehäuse. Sie hatte ein Crosley-Chrom-Radio und ein RCA Victor La Siesta mit dem farbenfrohen Bild eines Mannes mit Sombrero, der vor einem riesigen Saguaro-Kaktus saß, mit Bergen und Wolken im Hintergrund. Sie hatte ein Kadette Topper, ein Emerson Snow White mit einer eingelegten Darstellung von Schneewittchen und den sieben Zwergen (sie sahen ziemlich unheimlich aus), drei Detrola Pee Wee in den Farben Rot-Weiß, Schwarz und Blau-Weiß. Da waren außerdem drei kleine Radios aus Formplastik von der F.A.D. Andrea Corporation, von RCA und Crosley. Sie besaß ein Bendix-Radio mit einem Gehäuse aus Mahagoni-Imitat, das Mittel- und Kurzwelle empfing und das mit Gleichstrom und Wechselstrom betrieben werden konnte. In den letzten drei Jahren ihres Lebens bevorzugte sie modernere Geräte, die mit irgendwelchen Berühmtheiten geschmückt waren. Zum Beispiel ein Stewart-Warner-Radio mit
einem Aufkleber der berühmten Dionne-Fünflinge, die man ihren Eltern weggenommen hatte, die aber bei Pflegeeltern zusammenblieben. Meine Mutter verfolgte ihre Geschichte mit einem fast religiösen Eifer. »Herzzerreißend«, sagte sie. »Das ist wirklich mehr, als man ertragen kann.« Auf dem Aufkleber waren die Fünflinge ungefähr drei Jahre alt. Sie standen beisammen, lächelnd und voller Hoffnung.
    Am 15. September machten meine Tante, mein Onkel und ich einen Spaziergang zum Hafen hinunter. Wir sahen uns, jeder mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand, die Schiffe an, die Fähren, Schlepper, Frachter und Ozeandampfer. Wir beobachteten, wie die Leute an Bord des Dampfers Victoria gingen, und plötzlich glaubte ich Reese Mac Isaac auf der Gangway zu sehen. Es war ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit, und sie trug einen Kamelhaarmantel und einen schwarzen Schal. In der Hand hielt sie einen Koffer, aber wahrscheinlich hatte sie einen Schrankkoffer mit ihren Sachen schon an Bord. Einmal drehte sie sich um, wie um noch einmal auf Halifax zurückzuschauen, und ich sah ihr Gesicht von vorn. Es war wirklich Reese Mac Isaac. Ich muss einen überraschten Laut von mir gegeben haben, denn meine Tante fragte mich: »Was ist denn, Wyatt?«
    »Nichts«, sagte ich. »Gar nichts. Ich hab nur gerade gedacht, wie dankbar ich euch für alles bin, was ihr für mich tut. Ich weiß, ich war kein besonders toller Neffe – ich hab euch fast nie besucht.«
    »Das ist schon in Ordnung, mein Lieber«, versicherte meine Tante. »Wenn du gekommen bist, war es immer nett.«
    »Wyatt«, sagte mein Onkel, »so wie du den Leuten hinterherschaust, die da an Bord gehen, könnte man fast glauben, du wärst auch gern auf diesem Dampfer nach New York.
Mir ist
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