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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale
Autoren: Ingrid Law
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schloss.
    Fedora musste sich geirrt haben, sagte ich mir. Ich machte keine Sachen kaputt. So ein Schimmer wäre aber auch gleich Pech hoch zehn. Zum Beispiel könnte ich dann nicht mit Josh, Ryan und Brody die neue Wildwasserbahn ausprobieren. Ich versuchte mir vorzustellen, was passieren würde, wenn ich die längste Wildwasserbahn der Welt in ihre Einzelteile zerlegte. Allein bei dem Gedanken lief es mir kalt den Rücken runter. Mein Bettgestell erschauderte mit mir.
    Ich griff nach meiner Nachttischlampe, um sie auszuschalten, aber noch ehe ich sie berührte, schwankte und bebte sie und zerfiel in lauter Messingteile. Das Bild, das Tante Jenny mir zum Geburtstag geschickt hatte, krachte in der plötzlichen Dunkelheit mit einem Krawumm von der Wand. Aber ich brauchte kein Licht, um mich daran zu erinnern, wie es aussah. Tante Jenny hatte ein Schiff auf stürmischer See gemalt, mit einem Jungen an Deck – einem Jungen, der mir furchtbar ähnlich sah, nur dass er unerschrockener dreinschaute.
    Mit mir stimmt alles. Es ist alles in Ordnung. Diese Worte sagte ich mir immer wieder selbst vor, bis ich einschlief, und ich betete zu Gott, dass etwas Wahres daran war.
    Zehn Tage später schwitzte ich nach meiner Knucklehead-Sprengung in Sundance Blut und Wasser. Ich schloss die Augen, zog die Schultern hoch und versuchte in dem stickigen Minivan an gar nichts zu denken. Bemühte mich, das Gefühl zu ignorieren, dass mein Schimmer allmählich wieder Druck aufbaute, während ich gegen die noch frischen, schrecklichen Erinnerungen ankämpfte: den Geruch von vergossenem Motorenöl; ein Geräusch, wie wenn tausend Blechdosen auf Asphalt treffen; das Funkeln von Chrom und Metall in der Mittagssonne.
    »Geht es dir gut da hinten, Ledge?« Dads Stimme holte mich zurück in die Gegenwart. Ich schlug die Augen auf und begegnete seinem besorgten Blick im Rückspiegel. Der Spiegel schwenkte herum, neigte sich … erzitterte … und fiel ab. Dad nahm es gelassen. Ich ballte die Fäuste. Diesen Schimmer brauchte ich wie ein Loch im Kopf.
    »Es wird schlimmer, Dinah«, sagte Dad leise, als er Mom den Spiegel reichte. »Ich glaube allmählich, diese Reise war keine gute Idee.«
    »Wir sind fast da, Tom«, erwiderte Mom, klang dabei aber auch wenig beruhigend. Sie drehte sich zu mir um und lächelte gequält. »Entspann dich einfach, Ledger«, sagte sie. »Du kannst es noch ein bisschen länger unter Kontrolle halten.«
    »Du meinst wohl, du kannst es noch ein bisschen länger unter Kontrolle halten«, murmelte ich so leise, dass Mom es nicht hörte. Während meine Fäuste sich öffneten und meine Muskeln sich lockerten, fragte ich mich, wie lange diese letzte Runde Zwangsentspannung wohl dauern würde. Je näher wir Onkel Autrys Ranch kamen, desto mehr hoffte ich, dass meine Eltern nicht beide dasselbe dachten: dass es vielleicht sicherer für alle war, wenn sie mich einfach am Straßenrand aussetzten.
    Wir nahmen die nächste Ausfahrt und fuhren dann weiter nach nirgendwo, bis wir Onkel Autrys Ranch erreichten. Ich war als Erster am Kofferraum, um meine Tasche herauszuholen. Doch als die Klappe aufschwang und zwei grüne Augen in meine grauen schauten, hätte ich die Heckklappe um ein Haar in den Orbit befördert.
    Mitten zwischen den Gepäckstücken meiner Familie saß Sarah Jane.

3
    Sofort schossen mir Geschichten über die Reise durch den Kopf, die meine Cousine Mibs Beaumont an ihrem dreizehnten Geburtstag als blinde Passagierin in einem großen rosa Bus gemacht hatte. Sarah Jane sah kein bisschen älter aus als ich. Ich fragte mich, ob Mädchen ihres Alters allgemein die Angewohnheit hatten, auszubüxen und sich in den Fahrzeugen anderer Leute zu verstecken. Um meiner Schwester willen hoffte ich, dass es nicht so war.
    Sarah Jane hielt verschwörerisch einen Finger an die Lippen. Da sie zu den wenigen Zeugen meines Missgeschicks in Sundance gehörte, warf ich eine Picknickdecke über sie, ehe die anderen kamen, um das Gepäck auszuladen. Fedora hatte ich bereits so lange gekniffen, bis sie versprochen hatte, mich nicht zu verraten; aber nicht auszudenken, was dieses Mädchen alles ausplaudern würde, wenn Mom und Dad sie entdeckten.
    »Ich kümmere mich schon um eure Sachen!« Meine Stimmbänder dehnten sich bei diesen Worten wie zu stramm gezogene Gummibänder.
    »Ledge …«, begann Mom.
    »Nein, wirklich! Ich mach das schon!« Von irgendeinem dunklen, staubigen Ort tauchten plötzlich lange vergessene gute Manieren auf,
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