Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale
Autoren: Ingrid Law
Vom Netzwerk:
lief ich in der Mittagssonne um den Block und erwartete, dass jeden Moment meine Schimmergeschwindigkeit einsetzen würde. Schließlich war dies mein dreizehnter Geburtstag. Dad hatte Fe zur offiziellen Zeitnehmerin ernannt und ihr eine mechanische Stoppuhr und eine Trillerpfeife in die Hand gedrückt.
    »Si-Sa-Sausewind, Ledger ist das schnellste Kind. Läuft mit hundert Sachen, Ledger lässt es krachen! Zisch! Wusch! Dzing! Hurraaaaaa!«, feuerte Fe mich immer an, wenn ich wieder eine Runde beendet hatte, und drückte den Reset-Knopf an Dads Stoppuhr.
    »Irgendwas passiert, Ledge?«, fragte sie jedes Mal. »Merkst du schon was?«
    »Nein«, antwortete ich japsend, nachdem ich in vollem Sprinttempo gelaufen war. In vollem, stinknormalem, langweiligem Sprinttempo.
    »Und wie sieht’s jetzt aus, Ledge?«
    »Nein.«
    »Jetzt?«
    »Nein!«
    »Und jetzt?«
    »Nein!«, schrie ich Fe an, während ich erneut eine Runde vollendete und mein Frust und meine Wut das Einzige waren, was in Fahrt kam. Bei der zehnten Runde geriet ich ins Straucheln, als Fe auf die Stoppuhr drückte. Ich stieß mit dem Zeh gegen eine Bordsteinplatte, die von Baumwurzeln nach oben gedrückt wurde – als würde mein Stammbaum nach oben greifen, um mich zu Fall zu bringen. Dadurch verlor ich das Gleichgewicht, stürzte und schürfte mir die Knie, die Ellenbogen und den Stolz auf. Unter der Haut krabbelte ein Kribbeln durch meine Glieder, als wäre ich auf einem Ameisenhaufen gelandet.
    »Alles in Ordnung mit dir, Le…? Hoppla!« Ich nahm Dads Stimme kaum wahr. Bevor er seine Frage beenden konnte, explodierte – zisch-boing!  – die Stoppuhr in Fedoras Hand. Die Uhrfeder flitschte gegen meinen Hintern, und die übrigen Teile flogen durch die Gegend wie Granatsplitter. Dad duckte sich, und Fedora machte mit einem fröhlichen Kreischen einen Satz nach hinten. Ich hielt schützend die Arme vor meinen Kopf, um zu verhindern, dass sich die hauchdünnen Zahnrädchen in meine Schädeldecke bohrten.
    Dads Stoppuhr war das erste Opfer meines Schimmers. Fedora flitzte ins Haus und rief: »Mom, Mom! Du glaubst nicht, was Ledge kann! Er ist zehn Runden um den Block gerannt, und … Nichts . Aber dann war irgendwas Schimmermäßiges, und jetzt kann er Sachen zerstören!« Ihr Helm hüpfte auf und ab, während sie in lustigen Dreierkombinationen in die Luft boxte und immer wieder »Zer! Stö! Ren!« rief.
    »Noch mal, Ledge!«, forderte sie. »Aber mach diesmal was Größeres kaputt! Na, los … zeig es Mom! Versuch’s wenigstens!«
    Ich versuchte es nicht. Nach einem Blick auf meine Knie drehte Mom sich auf dem Absatz um und ging Pflaster holen. Unterdessen sah ich Dad dabei zu, wie er das Sammelsurium von Einzelteilen sortierte, die er vom Gehsteig aufgelesen hatte. Das Metallgehäuse der Stoppuhr hing aufgeklappt und verbogen über seinem Zeigefinger. Mir wurde ganz mulmig. Ich wusste, wie gern er geglaubt hätte, dass die Uhr kaputtgegangen war, weil ich zu schnell für sie war. Es hätte ihn mit Stolz erfüllt, wenn meine Schrammen und Blessuren die Folgen meiner neuen Supergeschwindigkeit gewesen wären und nicht einfach nur die meiner alltäglichen Tollpatschigkeit. Aber es gab keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass ich auch nur einen einzigen Kilometer, Meter oder Zentimeter pro Stunde schneller geworden wäre.
    Als sich an meinem Geburtstag außer Kuchen und Geschenken und Um-zehn-ins-Bett-Gehen nichts weiter ereignete, wusste keiner, was er davon halten sollte. Mom und Dad diskutierten darüber, ob ich überhaupt einen Schimmer bekommen hatte.
    »Dad … ich …«, stammelte ich, als er in mein Zimmer kam, um mir Gute Nacht zu sagen. Ich war bereits ins Bett gekrochen und hatte mir die Decke über den Kopf gezogen, um den letzten Stunden meines lausigen, verpfuschten Geburtstags zu entkommen.
    »Mach dir nichts draus, Ledge.« Dads schnelle Antwort überraschte mich. »Sieht so aus, als wärst du ein ganz normaler Kale-Mann, wie dein Dad. Na und? Das heißt ja nicht, dass mit dir irgendwas nicht stimmt. Wir können immer noch unseren Halbmarathon laufen, genau wie geplant. Nur dass du jetzt nicht extra langsamer laufen musst, damit dein alter Vater noch mitkommt.« Er zwinkerte mir zu, sah sich in meinem Zimmer um und ließ den Blick über lange vergessene Kunstobjekte und Modellautos schweifen. Dann schaltete er die Deckenlampe aus und sagte ein letztes Mal »herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, bevor er die Tür hinter sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher