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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition)
Autoren: Chris Moriarty
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wirklich. Da fragt man sich, ob an dem verrückten Gerede, das man über ihn verbreitet hat, doch etwas Wahres dran war.«
    »Welches verrückte Gerede?«, fragte Wolf wieder betont leise.
    Sascha spitzte die Ohren. Und auch Lily, die neben ihm stand, war gespannt wie ein Flitzbogen. Irgendetwas stimmte da nicht. Bei Naftali Ashers Tod musste nicht unbedingt Magie im Spiel gewesen sein, aber hier gab es ein Geheimnis. Und wenn Sascha etwas in seiner Lehrzeit verstanden hatte, dann dies: dass Inquisitor Wolf hinter dieses Geheimnis kommen würde, noch ehe sie das Theater verlassen hätten.
    »Ach, Sie wissen doch«, schwadronierte Goldfaden weiter. »Die Leute reden. Immer. Besonders die Leute vom Theater. Man darf das nicht alles glauben.«
    Wolf schien auf Goldfadens Themenwechsel eingehen zu wollen, zumindest vorerst. Aber Sascha wusste aus Erfahrung, dass Wolf jeden noch so vagen Hinweis nutzte, um auf die unbeantwortete Frage zurückzukommen. »Wie ich gehört habe, hat eine Dame die Polizei benachrichtigt.«
    »Eine Dame?!« Goldfaden tat so überrascht, als ob in der ganzen Geschichte des Hippodrome noch nie ein solches Wesen aufgetaucht wäre. »Ach, Sie meinen Pearl. Also ich weiß wirklich nicht, warum Sie mit der sprechen sollten.«
    Wolf kramte wieder seinen Bleistiftstummel hervor. »Pearl –?«
    »Pearl Schneiderman alias Madame Aalinda, das elektrisierende Aalmädchen.«
    »Hat Sie sich auch mit Glühbirnen dekoriert?«, rief Wolf verblüfft.
    »Nein, nein. Sie ist die Schlangenfrau.« Er verdrehte die Arme, als wären es teigige Brezeln. »Aber nicht von der üblichen, flittchenhaften Sorte. Unsere Madame Aalinda ist eine sehr, sehr große Künstlerin. Doch tatsächlich brauchen Sie gar nicht erst ihre Bekanntschaft zu machen. Das hier ist kein magisches Verbrechen. Es ist überhaupt kein Verbrechen, sondern eine Verkettung unglücklicher Zufälle. Wirklich kein Grund für die Inquisitoren, hier zu ermitteln.«
    Sascha schaute Wolf an, um zu sehen, was der wirklich dachte. Doch Wolfs Miene blieb undurchdringlich. Er stand stocksteif da, sein angenehmes, kantiges Gesicht zeigte keine Regung, die spülwassergrauen Augen hinter beschlagenen Brillengläsern schauten sanft zu Goldfaden hinüber. Die einzige erkennbare Bewegung an Wolf war das kalte Regenwasser, das an ihm herunterlief und um seine nassen Schuhe eine Pfütze bildete.
    Sascha schaute Lily Astral, Lehrling wie er, fragend an. Aber sie blickte nur mit großen blauen Augen zurück, als wollte sie sagen
Frag mich nicht. Ich hab auch nicht die leiseste Ahnung, was in Maximilian Wolfs Kopf vorgeht.
Und dann zog sie ein feines Spitzentaschentuch aus ihrem dicken Wintermantel und schnäuzte sich recht laut ihr aristokratisches Näschen.
    Es war Mitte Februar im kältesten Winter, den New York seit Menschengedenken erlebt hatte, und das Einzige, was Sascha über seine klammen Finger und halb erfrorenen Zehen hinwegtröstete, war Lilys Anblick: Auch sie, die sonst immer wie aus dem Ei gepellt war, hatte eine triefende Nase.
    Nicht, dass er ihr Frostbeulen gewünscht hätte. Eigentlich konnte er sie ganz gut leiden. Wenn sie nur nicht so furchtbar reich und so schrecklich besserwisserisch gewesen wäre – und wenn sie kein Mädchen gewesen wäre –, hätten sie gute Freunde sein können. So aber tröstete es ihn, dass auch die stets makellos auftretende Lily Astral vor einer hundsgemeinen Erkältung nicht gefeit war.
    »Also wirklich«, beharrte Goldfaden, »der Mann hüpfte, illuminiert wie ein Weihnachtsbaum, wild auf der Bühne herum. Er schwitzte wie ein Affe und speichelte in sein Instrument. Das reichte zum Sterben. Wozu brauchte er da noch Hilfe?«
    »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Wolf, »aber trotzdem. Miss Schneiderman schien überzeugt, dass Mr Asher einem magischen Verbrechen zum Opfer gefallen ist.«
    »Na ja, sie war eben bestürzt. Da sagt man vieles.«
    »Gewiss, aber die Leute sagen auch so manches, wenn sie nicht bestürzt sind. Nur weiß ich aus Erfahrung, dass das, was Leute in ihrer Bestürzung sagen, der Wahrheit doch sehr nahekommt.«
    Goldfaden verzog den Mund und seine dunklen Augen verengten sich zu Schlitzen: »Ich könnte Pearl für diesen Anruf umbringen, wirklich!«
    »Ich hoffe nicht«, sagte Wolf mit ernster Miene.
    Erst jetzt schien sich Goldfaden zu erinnern, dass ihm zu Füßen eine Leiche lag. Eine Blässe flog über sein Gesicht, er zerrte am Hemdkragen, als brauchte er mehr Luft. »Pearl hat nun mal, na,
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