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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition)
Autoren: Chris Moriarty
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hätte.
    »Nichts zu sehen!«, wiederholte Goldfaden für die Allgemeinheit. Und in maßvollerem Ton sagte er zu Maximilian Wolf: »Und gewiss nichts, was die Aufmerksamkeit des Herrn
Inquisitor
verdiente.«
    Und so wie der Tatort aussah, musste man dem Mann wohl recht geben. Die Todesursache war eindeutig. Der Klezmerkönig lag ausgestreckt auf der Bühne des Hippodrome, die feingliedrigen Finger einer Hand noch an der Klarinette. Der Tod hatte ihn auf offener Bühne während der Freitagnachmittagsvorstellung ereilt. Mitten in einem fesselnden Solo in Es-Dur war sein elektrischer Frack plötzlich Feuer sprühend in einem gleißend hellen Blitz aufgegangen. Sein Frack, von dem draußen als »
weltberühmter elektrischer Frack
« die Rede war, leuchtete immer noch. Niemand hatte den Mumm gehabt, ihn abzustellen. Und so lag der Klezmerkönig wie in einen funkelnden Kometenschweif gehüllt vor Wolfs Füßen.
    Wolf sah den toten Musiker lange schweigend an. Dann folgte er den Stromkabeln, die von der Leiche fortführten, bis ins Dunkel der Kulissen und trat dort mit dem Fuß den Stecker aus der Dose.
    »Oh«, sagte Goldfaden verlegen, »darauf hätte ich auch selber kommen können.«
    Sie kehrten zur Leiche zurück und betrachteten sie erneut. Wolf trug seine übliche unergründliche Miene zur Schau, Goldfaden war bestürzt wegen der Leiche auf der Bühne seines Theaters.
    »Es ist zum Heulen«, klagte er. »Asher war ein Genie, ein musikalisches Genie, er gehörte zu den ganz Großen der
Klezmorim,
auch wenn die Konzerteinnahmen nicht so berauschend waren. Und nun schauen Sie. Da liegt er, verschmort durch billigen elektrischen Christbaumschmuck!« Goldfaden schüttelte den Kopf. »Das ist nicht tragisch. Das ist unprofessionell!«
    Lily kicherte und Wolf ließ ein vieldeutiges Husten hören. Nur Goldfaden lachte nicht.
    »Und dass das ausgerechnet im Hippodrome passieren musste! Schrecklich, einfach schrecklich! Das hat diese legendäre Bühne nicht verdient! Die todesverachtenden Dershowitzes haben auf diesen Brettern den Tod nicht gescheut. Und dieser Teufelskerl Harry Heller hat hier die Nummer mit Rauch und Spiegeln erfunden. Ja, ich hatte als Hauptattraktion Houdini mit einem Elefanten, den er vor den Augen des Publikums verschwinden ließ – keine illegale Magie, nur ein Zaubertrick, alles ganz
koscher
. Aber in all den Jahren hätte ich nie gedacht, dass einmal so etwas passieren könnte.« Mit einem Stirnrunzeln schaute er auf die Stelle, wo Asher gestorben war. Dabei verzog er den Mund, was Sascha annehmen ließ, dass Goldfaden – und möglicherweise eine Reihe anderer Leute – Naftali Asher nicht besonders gemocht hatten. »Musste es mit Naftali Asher so weit kommen? Tod durch Stromschlag und das wegen eines albernen Werbegags. Der sich übrigens – ich weiß, wovon ich spreche, ich kenne die Abendeinnahmen – gar nicht ausgezahlt hat. So ein
Schlimasl.
Sollte er in den Himmel kommen, wird alles schiefgehen, sobald er dort auftaucht. Die Gemeinde wird den Bach runtergehen und die Engel in die Hölle auswandern, nur um Aschers Jidden-Glück nicht zu nahe zu kommen.«
    »Mit anderen Worten, er war ein Bursche, der besser die Finger von elektrischem Strom hätte lassen sollen«, sagte Wolf.
    »Ja, Gott sei Dank hat das Sam für ihn gemacht, sonst wäre er wohl schon vor Wochen verschmort.«
    »Sam?«, sagte Wolf und kramte in seiner Hosentasche nach dem sich stets rar machenden Bleistiftstummel. Goldfaden hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, aber nun war der Name gefallen.
    »Ashers Garderobier, ein guter Junge.«
    »Und wie lautet sein Nachname?«, fragte Wolf. Er hatte endlich einen abgenagten Stummel gefunden. Als Nächstes fischte er einen zerknitterten Fetzen Papier hervor, der einmal ein Waschzettel gewesen war.
    Goldfadens Blick sprang nervös hin und her. »Sam taucht bestimmt wieder auf. Jetzt ist er wegen dieser Sache sicherlich viel zu aufgeregt, äh, auf jeden Fall würde Sam keiner Fliege etwas zuleide tun.«
    Goldfaden sah Wolf herausfordernd an, so als solle der sich unterstehen, ihm zu widersprechen.
    »Aha«, sagte Wolf so leise, dass Sascha sofort aufmerkte. Er schielte zu Lily hinüber und sah, dass auch ihr es aufgefallen war. Wo immer Sam jetzt war und wie er auch mit Nachnamen heißen mochte, er hätte um nichts in der Welt mit ihm tauschen wollen.
    »Eine garstige Sache ist das«, sinnierte Goldfaden, als wollte er am liebsten das Thema wechseln. »Zum Heulen,
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