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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans
Autoren: Ulrich Ritzel
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stand der Chef der Schutzpolizei. Was denn los sei, fragte sie. »Jetzt sind alle verrückt geworden«, sagte Markert. »Unten beim Bahnhof spielt Englin Bürgerkrieg. Und dort oben«, er deutete zu den Regenwolken hoch, in denen das Münster verschwand, »dort oben ist Thalmann. Er hat eine junge Frau als Geisel.«
    Tamar schüttelte den Kopf. »Das ist nicht wirklich wahr.«
    »Doch«, sagte Markert, »er hat sie untergehakt und ist mit ihr in die Kirche gegangen und hat zwei Karten für den Turm gekauft. Und dann ist er mit ihr nach oben, sie voraus und er dicht hinter ihr, niemandem sind sie aufgefallen, und oben
hat er das Messer einem Steinmetz gezeigt und ihn hinuntergeschickt und ihm gesagt, wer er ist und dass niemand mehr auf den Turm darf, sonst schneidet er der jungen Frau den Hals durch.«
    »Und was bitte will er damit erreichen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Markert und hob resigniert die Schultern.
     
    In dem Kleinbus sprach Berndorf mit einem jungen Mann in staubiger Arbeitskluft. Der junge Mann war Steinmetz bei der Münsterbauhütte und allein oben in der Türmerstube gewesen, als plötzlich ein Paar auf ihn zutrat.
    »Totenblass stand das Mädchen vor mir und sagte, ich soll um Gottes willen tun, was der Mann verlangt. Der Kerl stand hinter ihr, und erst hab’ ich absolut nichts begriffen. Aber dann hab’ ich das offene Rasiermesser gesehen. Er hat es ihr an den Hals gehalten.«
    Berndorf wollte etwas fragen, dann schwieg er. Durch die Regenwolken drang der bretternde Krach eines Hubschraubers. Berndorf griff zum Telefon, Tamar hörte, wie er dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung erklärte, er solle diese Idioten wegschicken. »Ich will keine Kriegsspielerei, und ich will kein Sondereinsatzkommando. Jetzt nicht.«
    Dann fragte er den Steinmetz, ob es ein Telefon oben auf dem Münster gebe. »Die Münsterkirchengemeinde hat einen Anschluss oben«, antwortete der junge Mann. »Sie können durchwählen.«
     
    Berndorf gab die Nummer ein, niemand meldete sich. Dann versuchte er es noch einmal. Schließlich wurde der Hörer abgenommen. Ein Mann sagte: »Ja?«
    Berndorf nannte seinen Namen und fragte, ob er mit der Türmerstube des Münsters verbunden sei. »Wer sind Sie?«, fragte der Mann zurück. Berndorf wiederholte seinen Namen, und sagte, dass er Kriminalkommissar sei.

    »Ich habe von Ihnen gehört«, sagte der Mann. »Meine Tochter hat mir gesagt, dass ich Sie anrufen soll. Nun haben Sie mich ja erreicht.«
    »Es wäre besser gewesen, Herr Thalmann, Sie hätten früher mit mir gesprochen«, sagte Berndorf.
    Die Polizei müsse schon ihm selbst überlassen, wann er mit ihr rede, antwortete der Mann. Was der Kommissar überhaupt von ihm wolle? »Nichts. Sie sind es, der etwas von uns will«, antwortete Berndorf. »Wir können jetzt darüber sprechen, oder ich gebe Ihnen meine Nummer in der Einsatzleitung, hier unten auf dem Münsterplatz. Sie können dann anrufen, wenn Sie wissen, was Sie eigentlich wollen.«
    »Wer sagt Ihnen denn, dass ich das nicht weiß?«
    »Sie wollen also mit mir verhandeln?«, fragte Berndorf. »Ich höre Ihnen zu. Vorausgesetzt, dass ich zuerst mit der jungen Frau sprechen kann. Und dann können wir darüber reden, wie es in den nächsten Stunden weitergehen soll.«
    »Wir reden über gar nichts«, sagte Thalmann wütend. »Sie hören jetzt meine Bedingungen, und sonst ist nichts. Erstens will ich, dass mit dem Lastenaufzug ein tragbares Fernsehgerät hier zu uns heraufgeschickt wird. Zweitens will ich, dass eine Fernsehanstalt eine Direktübertragung hier vor dem Münster macht. Die Kameras sollen auf den Turm gerichtet sein, sodass man auf dem Bildschirm sehen kann, ob jemand außen am Turm hochklettert. Wenn einer trickst, ist die junge Frau hier tot.«
    Thalmann machte eine Pause. »Sie ist auch tot, wenn jemand die Treppe zur Türmerstube hochkommt«, fuhr er dann fort. »Damit Sie sich keine Illusionen machen: Bei beiden Wendeltreppen, beim Aufgang und beim Abgang, habe ich die oberen Zugangsgitter geschlossen und mit Vorhängeschlössern gesichert. Ich höre es, wenn Ihre Leute es aufbrechen werden.«
    »Ich habe Ihnen nicht zugehört«, sagte Berndorf. »Denn ich will zuerst mit der jungen Frau sprechen.«

    »Die kann nicht her. Die ist angebunden.«
    »Dann binden Sie sie los. Oder bringen das Telefon zu ihr.«
    Thalmann schwieg einen kurzen Augenblick. Vielleicht ist er doch nicht ganz verrückt, dachte Berndorf. Plötzlich drang eine verzerrte
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