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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans
Autoren: Ulrich Ritzel
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Veröffentlichungen nachzugehen. Sie werden diesen Fall abschließen, und danach werden Sie um eine Versetzung in eine andere Dienststelle nachkommen.«
    Als Berndorf über die Autobahn nach Ulm zurückfuhr, fühlte er sich plötzlich leer. Einen Augenblick lang, oder vielleicht auch einige Stunden, hatte er Hochstimmung empfunden. Als das israelische Fernsehen die Fotos von Hendriksen 1944 und Twienholt 1982 einspielte, beide im Halbprofil, beide mit dem kühlen Selbstbewusstsein derjenigen, die schon immer die Sieger waren, beide groß und hager und hellhaarig und beide durch die Jahrzehnte kaum verändert geblieben: Da hatte er Genugtuung gefühlt. Genugtuung nicht nur für den armen Heinz Tiefenbach, der seinen Vater gesucht und doch nur dessen – und seinen eigenen – Mörder gefunden hatte. Genugtuung auch für andere, deren Väter nicht das Glück gehabt hatten, aus dem Krieg heimzukehren.
    Jetzt fiel diese Genugtuung in sich zusammen. Hendriksen-Twienholt war enttarnt. Was aber war mit der Tochter, der nur gelegentlich praktizierenden Ärztin? Berndorf glaubte es zu wissen. Sie war es gewesen, die Tiefenbach betäubt und vergiftet hatte. Und ihr Mann, der computerkundige Wirtschaftsanwalt, war mit Tiefenbachs Schlüsseln nach Görlitz gefahren und hatte die Wohnung und den PC des Opfers durchsucht. Briefe und Fotos waren vermutlich längst im perfekt sicheren Reißwolf der Kanzlei vernichtet.
    Nun ja, vielleicht war Schülins Wagen in Görlitz gesehen worden. Oder er selbst. Und in der Villa Twienholt würden sich vielleicht doch Fasern von Tiefenbachs Kleidung finden lassen, und in der Garage vielleicht Reifenabrieb oder Ölspuren
seines Toyota. Berndorf schaltete das Autoradio ein, der Südwestfunk brachte Regionalnachrichten.
    »Der ehemalige Wehrmachts-Arzt Dr. Hendrik Hendriksen«, sagte eine Sprecherin, »ist heute Nachmittag aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Wie ein Sprecher des Justizministeriums in Stuttgart erklärte, sei dem inzwischen 86-jährigen Mann in mehreren ärztlichen Gutachten Haftunfähigkeit bescheinigt worden.«
    Berndorf lächelte. Es war kein fröhliches Lächeln. Im nächsten Augenblick sah er die Rücklichter eines Lastwagens fast unmittelbar vor seinem Citroën. Mit voller Wucht trat er auf die Bremse und fing seinen Wagen gerade noch ab.
     
    Im Speisesaal des ICE »Richard Wagner« von Berlin nach Nürnberg saß ein älterer Mann vor einem Glas Tee und starrte in die Dämmerung. Twienholt – oder Hendriksen, wie er in Wahrheit hieß – war ihm entkommen. Dabei war es ein guter Plan gewesen. In aller Öffentlichkeit und sogar vor den Fernsehkameras hätte man ihn und das Geständnis Twienholts anhören müssen. Niemand mehr hätte seine Ohren davor verschließen dürfen, dass er vorsätzlich vergiftet worden war. Dass man ihn planmäßig und heimtückisch ruiniert hatte, um ihn und seine Familie um ihr Glück zu bringen. So war es doch gewesen, und auch Hannah würde ihm glauben müssen.
    Bei diesem Gedanken verfinsterte sich seine Miene. Zweimal hatte er es gewagt, seine Tochter anzurufen. Aber sie verstand ihn nicht. Sie hatte gesagt, sie werde erst mit ihm reden, wenn er sich der Polizei gestellt habe. Oder wenigstens solle er diesen Kommissar anrufen, hatte sie verlangt. Aber woher sollte sie auch verstehen, dass erst die Wahrheit ans Licht kommen musste, ehe auch nur an ein Gespräch über seine Rückkehr nach Mariazell zu denken war. Schade, dass es im Congress-Centrum plötzlich diesen ganzen Wirbel gegeben hatte und Twienholt gar nicht erst erschienen war.

    Nun ja, dachte er dann: neues Spiel. Zu lustig, dass er um ein Haar dem Informatiker Rabenicht gesagt hatte, er solle seinen Beistelltisch gefälligst selber leimen.
    Aber kleine Gefälligkeiten zahlen sich doch immer aus. Rabenicht hatte ihm seinen Internetanschluss vorgeführt.
    Was die Leute nicht alles auf ihren Home-Pages mitteilen.

Freitag, 20. Februar, 9 Uhr
    »Das verstehe wer mag«, sagte der Fuhrparkleiter des städtischen Tiefbauamtes. »Ich nicht.«
    »Wagen is weg, Chef«, wiederholte der Vorarbeiter Yilmaz und wies auf die leere Box.
    »Schon recht«, antwortete der Fuhrparkleiter. »Aber wer klaut schon einen alten Lieferwagen mit Gasmessgerät?« Er ging in sein Büro zurück und rief die Polizei an.
    Ein Beamter im Neuen Bau erklärte ihm, dass er jetzt niemand vorbeischicken könne.
    »Mir ist das auch nicht so wichtig«, sagte der Fuhrparkleiter. »Ich hab’ nur gedacht, Sie
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