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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans
Autoren: Ulrich Ritzel
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Stimme an sein Ohr.
    »Ich bin Nike Schülin«, sagte die Stimme. »Ich bin unverletzt. Bitte tun Sie, was dieser Mann verlangt.«
    Scheiße, dachte Berndorf. Warum muss es jemand ausgerechnet aus dieser gottverdammten Familie sein. Dann fiel ihm ein, dass es darauf nun wirklich nicht ankam.
     
    Draußen war wieder das Brettern des Hubschraubers zu hören. Verkehrspolizisten hatte die Neue Straße gesperrt, damit der Helikopter dort, auf der vierspurigen Stadtdurchfahrt landen konnte. Minuten später schwang sich Steinbronner in den Wagen der Einsatzleitung.
    »Lage?«, fragte er grußlos. Berndorf erläuterte knapp.
    »Ernst«, sagte Steinbronner, »sehr ernst. Es ist Ihr Schlamassel. Aber Sie haben meine volle Rückendeckung.«
    Ja, dachte Berndorf: Wenn es gut geht.

Freitag, 20. Februar, 12 Uhr
    Berndorf hatte es übernommen, Nikes Eltern zu verständigen. Und er musste Hendriksen sprechen. Denn Thalmann hatte ihm einen Auftrag mitgegeben.
    In der Villa auf dem Michelsberg öffnete ihm Eberhard Schülin. Sein Gesicht versteinerte sich, als er den Kommissar sah.
    Berndorf versuchte, ihm möglichst ruhig zu sagen, was geschehen war. Dass die Polizei die Lage unter Kontrolle habe.
    »Unter Kontrolle?«, fragte Schülin. »Was sagen Sie da? Sie machen hier absurde Hausdurchsuchungen, führen sich auf, als wären wir Betrüger oder Mörder, und gleichzeitig lassen
Sie es zu, dass unsere Tochter von einem Verbrecher entführt wird? Das nennen Sie die Dinge unter Kontrolle haben?«
    Plötzlich fing er an zu schreien. »Das haben Sie vorsätzlich inszeniert. Nackter Terror ist das, ein Polizeiverbrechen, wie es die Stasi nicht gewagt hätte!« Seine Frau Anne-Marie erschien in der Halle. »Sie haben Nike ...«, sagte Schülin. Er traute sich nicht, den Satz zu Ende zu sprechen.
    Dr. Anne-Marie Schülin – Berndorf nahm an, dass sie den Zweitnamen Twienholt nicht mehr führte – war noch blasser als sonst. Sie brach nicht zusammen, als Berndorf ihr von der Geiselnahme berichtete. Sie schrie auch nicht. Sie sah Berndorf nur mit intensivem, kaltem Hass an.
    »Es ist noch etwas«, sagte Berndorf. »Der Geiselnehmer Wolfgang Thalmann hat eine eigentümliche Forderung. Er will, dass Ihr Vater – Herr Dr. Hendriksen – vor laufenden Fernsehkameras seine Schuld bekennt. So hat es Thalmann ausgedrückt. Ihr Vater soll erklären – ach, ich lese Ihnen am besten vor, was mir Thalmann am Telefon diktiert hat ...« Berndorf holte seinen Notizblock heraus. »Also: Ich – Dr. Hendrik Hendriksen – habe unzählige Menschen bei verbrecherischen medizinischen Experimenten misshandelt und ermordet. Mein Ziel war es, Medikamente zu finden, mit denen ich meine Mitmenschen beherrschen und sie meinem Willen unterwerfen kann. Ich habe den Willen und die Seele dieser Menschen zerstört. Ich habe ihre Persönlichkeit vorsätzlich verändert. Zu den Opfern meiner Machenschaften gehört auch Wolfgang Thalmann. Ich habe dazu beigetragen, seine Familie zu zerstören. In seinem Prozess habe ich falsch gegen ihn ausgesagt und so mitgeholfen, ein Justizverbrechen zu verüben.« Berndorf machte eine Pause und schaute Anne-Marie Schülin an. »Diesen Text soll Ihr Vater verlesen. Vielleicht sollte ich noch sagen, dass ein solches erzwungenes Bekenntnis rechtlich überhaupt keine Bedeutung hat.«
    »Heucheln Sie doch nicht so«, sagte Schülin, »Sie wollen uns vorführen. Sie sind es doch, der das alles angestiftet hat.«

    Anne-Marie Schülin sagte, sie werde mit ihrem Vater reden.
    Berndorf wartete lange, allein vor einem Fenster stehend. Eberhard Schülin war wortlos weggegangen. Schließlich kam Anne-Marie Schülin wieder. Berndorf wandte sich ihr zu. Sie war totenblass im Gesicht.
    »Mein Vater ist nicht ansprechbar«, sagte sie. »Er verschließt sich.« Sie trat einen Schritt auf Berndorf zu. »Warum geschieht uns das alles? Warum bricht plötzlich alles zusammen? Was haben wir bloß getan?«
    Berndorf betrachtete sie aufmerksam. Das kennst du doch, dachte er sich: Das Selbstmitleid ist das Letzte, was ihnen bleibt. »Sie müssen nicht mich fragen, was Sie getan haben«, sagte er. »Das wissen Sie selbst am besten.«
    Anne-Marie Schülin warf ihm einen fahlen Blick zu: »Wollen Sie selbst einen Versuch bei meinem Vater machen? Vielleicht erreichen Sie ihn eher als ich.«
    Dann ging sie ihm voran.
     
    Hendriksen saß in einem Lehnstuhl vor der weiten Fensterwand. Er starrte in den Himmel über der Stadt, in der groß und bedrohlich
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