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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal
Autoren: Frederick Forsyth
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nur wenige Meter von ihm entfernte Menschenmenge drängte gegen die Absperrung. Lebel sah zu den Hausdächern hinauf. Verläßliche Burschen, diese Posten da oben. Ohne dem Schauspiel hier unten auch nur einen Blick zu schenken, hockten sie dort auf den Balustraden und behielten die Fenster und Dächer der gegenüberliegenden Häuser im Auge.
    Lebel hatte die Westseite der rue de Rennes erreicht. Ein junger CRS-Mann stand breitbeinig in dem engen Durchgang, der zwischen dem letzten der quer über die Fahrbahn errichteten Sperrgatter und dem Haus Nr. 132 verblieben war. Lebel wies ihm seine Karte vor. Der CRS- Mann salutierte.
    »Haben Sie irgend jemanden passieren lassen?«
    »Nein, Monsieur le Commissaire.«
    »Wie lange stehen Sie schon hier?«
    »Seit zwölf Uhr, Monsieur. Seit die Straße gesperrt wurde.«
    »Und durch diese Lücke hier ist niemand durchgelassen worden?«
    »Nein, Monsieur. Das heißt, nur der alte Krüppel, der da hinten wohnt.«
    »Welcher Krüppel?«
    »Älterer Mann, Monsieur. Kriegsversehrter. Sah hundeelend aus. Hat seine Identitätskarte und den Versehrtenausweis vorgezeigt und seine Adresse mit 154 rue de Rennes angegeben. Also den mußte ich ganz einfach durchlassen, Monsieur le Commissaire. Sah wirklich hundsmiserabel aus, richtig krank. Kein Wunder bei dieser Hitze und in dem schweren Wachmantel. Eigentlich verrückt, so was.«
    »Wachmantel? «
    »Jawohl, Monsieur. Langer, schwerer Mantel. Militärmantel, wie ihn früher mal die alten Soldaten getragen haben. Viel zu heiß für dieses Wetter.«
    »Was war los mit ihm?«
    »Na ja, dem wird's wohl zu warm gewesen sein, nehme ich an. «
    »Sie sagten, er sei kriegsversehrt. Was fehlte ihm denn?«
    »Ein Bein, Monsieur. Kam von ganz da hinten angehumpelt, auf einer Krücke.«
    Vom Bahnhofsvorplatz klangen die ersten schmetternden Trompetenstöße herüber. »Allons, enfants de la patrie, le jour de gloire est arrivé…« Einige Zuschauer stimmten die Marseillaise an.»Krücke?« Lebel selbst meinte die eigene Stimme in diesem Augenblick wie aus weiter Ferne zu hören. Der CRS-Mann sah ihn besorgt an.
    »Ja, Monsieur, eine Krücke, wie sie jeder Beinamputierte hat. So eine aus Aluminium, glaube ich…«
    Lebel drehte sich abrupt um, befahl dem CRS-Mann, ihm zu folgen, und rannte die Straße hinunter.
    Sie hatten an der Stirnseite des Bahnhofs im strahlenden Sonnenschein Aufstellung genommen. Längs der Bahnhofsfassade waren die Wagen Stoßstange an Stoßstange vorgefahren. Ihnen gegenüber, vor dem schmiedeeisernen Gitter, das den Vorplatz von der Place du 18 Juin trennte, standen die zehn Veteranen, um ihre Medaillen aus der Hand des Staatsoberhauptes zu empfangen. Auf der Ostseite des Bahnhofsvorplatzes waren die Mitglieder der Regierung und des Diplomatischen Corps versammelt. In ihren dunklen Anzügen bildeten sie einen massiven schwarzen Block, in dem nur da und dort das Band der Ehrenlegion als roter Tupfen aufleuchtete.
    Die Garde Républicaine mit den dichten roten Federbüschen auf ihren blitzblanken Helmen war auf der Westseite des Bahnhofsvorplatzes angetreten. Die Musikkapelle stand einen Schritt vor der Front.
    Eine Anzahl Protokollbeamter und leitender Funktionäre der Präsidialkanzlei umdrängte eine der am Bahnhofseingang vorgefahrenen Limousinen. Die Musikkapelle intonierte die Marseillaise.
    Der Schakal hob das Gewehr und spähte durch das Zielfernrohr auf den Vorplatz hinunter. Er visierte den linken Flügelmann der Kriegsveteranen an, der als erster seine Medaille bekommen würde. Er war klein und untersetzt und hielt sich sehr gerade. Sein Gesicht erschien, nahezu im Vollprofil, scharf durchgezeichnet im Fadenkreuz. In wenigen Minuten würde sich ihm ein anderes hinzugesellen, ein stolzes Gesicht, welches das des Veteranen um dreißig Zentimeter überragte und vom Schirm eines vorn mit zwei goldenen Sternen geschmückten Khaki-Képis beschattet wurde.
    »Marchons, marchons à la victoire…« Wumm-ba-wumm. Die letzten Takte der Nationalhymne waren verklungen, und in die eingetretene Stille hinein gellte das Kommando »Präsentiert das Gewehr!« über den Bahnhofsvorplatz. Ein schlagartiges, dreifach klatschendes Geräusch folgte, als weißbehandschuhte Finger den befohlenen Präsentiergriff im gleichen Takt ausführten. Die um die Limousine versammelte Gruppe teilte sich, und in ihrer Mitte erschien eine einzelne hochgewachsene Gestalt, die jetzt auf die angetretenen Kriegsveteranen zuschritt. Etwa fünfzig Meter vor
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