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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
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startenden und bremsenden Hochbahnzügen.
    Es war Zeit. Der Moment höchster Entfernung und tiefsterNähe rückte heran. Nähe wie Liebe wie aus ihm herausgerissener Stacheldraht, das Auge, das ihn brechend ansähe im Augenblick der Wahrhaftigkeit, einer, irgendeiner von allen. Peter. Peter anrufen, der sie nicht besorgen wollte, aber mußte, die Waffe, die schwarze Waffe, mit der er einen auswählen würde aus der Mitte, zwischen den kühlen steinernen Wänden, das Muster verändern durch einen Eingriff, unter dem fahlen grünen Himmel, da war alles möglich, Tod war da möglich, sehen, wie einer umfällt. Sie ähneln einander so sehr. Ein Moment der Stille zwischen den Neubauten, ein Stück Leere im brüllenden Stahlwerkstakt. Jetzt zurück. Schnell.
    Dann dachte Johann an die Delphine. Er entstieg der kalten morgendlichen Stadt in eine wärmere Welt und fand sich gewiegt von den Wellen eines lauen sonnenglitzernden blauen Meeres, umgeben von einer Schule spielender Tiere, die, um ihn zu unterhalten, zu zweien aus dem Wasser schnellten und gebogen wie Bananen wieder zurückprallten und einen warmen kitzelnden Tropfenregen auf ihn niedersprühen ließen.
    Niemand wußte, wie intelligent sie wirklich waren, aber lag nicht eine kaum faßbare Hoffnung in der Annahme, sie könnten ebenso intelligent sein wie Menschen, ebenso intelligent und darüber hinaus gut? Sie nahmen ihn auf, einen neuen Freund, mit dem sie in die Bucht hinausschwammen, und das sonnendurchglänzte Wasser umgab seinen nackten Körper wie ein weicher Pelz, und er fühlte sich geborgen in ihrer Mitte.
    Wie mochten sie leben, in ihr Element gezwungen, zur Arbeit untauglich, wie Menschen sie verrichten mußten; all ihr freischweifendes Denken, das nicht an den Zwang des Broterwerbs gekettet war; das Wasser trug sie, und ihre Sanftmut vergab die Sünden, ja, wessen Sünden.
    Aber sie kamen bis zum Strand, und es war, als hätten sieden Wunsch, ans Ufer zu gelangen. Und wirklich leisteten sie keinen Widerstand, als man sie packte und auf den Sand zog, wo sie liegenblieben, diese schönen Körper in ihrer Ruhe und Würde, während um sie herum die Hölle losbrach, eine Hölle tanzender, schreiender, kreischender Menschen, die sich in wilden Sprüngen verrenkten und Rufe voll Prahlerei und Spott aufs Meer hinaussandten. Johann sah sie in ihrer Ekstase, und er sah die herrliche Ruhe der Delphine, und erst als er im Hinterhof vor der Tischlerei angekommen war, verschwand dieses Bild vor seinen Augen.
    Johann blickte sich in dem leeren großen Raum um. Er war allein, so wie er während seines Spaziergangs allein gewesen war. Alle waren fort, es gab niemanden außer ihm. Es war kalt und klar. Die Menschen ähnelten einander, wie sie sich durch die Straßen tasteten. Er nahm das Telefon. Es war Zeit.

IX
    Das Telefon klingelte so früh am Morgen, daß Johann nicht wußte, für wen der Anruf sein sollte. Es klingelte, ohne aufzuhören, das Geräusch drang durch Wände und Türen, weckte Johann auf und trieb ihn schließlich aus dem Bett und in den großen Raum, in dem das Neonlicht wieder die ganze Nacht gebrannt hatte und noch jetzt die Morgendüsternis bannte. Johann wartete zwei Klingelzeichen ab, dann nahm er den Hörer. Es war Peter.
    Seine Stimme war klar, als sei er schon lange wach, und eindringlich. Er sprach schnell, als habe er keine Zeit zu verlieren.
    Es ist da, das Ding. Ich habe nicht geschlafen die Nacht über. Du mußt es abholen.
    Wovon redest du? fragte Johann. Er war noch nicht wach.
    Du weißt, wovon ich rede. Hol sie ab!
    Johann begriff. Du hast sie? Hast du sie?
    Ja, sagte Peter gepreßt. Ja, ja, ja. Sie liegt hier vor mir und starrt mich an. Seit gestern abend.
    Was zum Teufel ist mit dir los? fragte Johann.
    Nichts ist mit mir los, sagte Peter tonlos. Komm, sofort, und hol sie dir ab.
    Wie sieht sie aus?
    Schwarz.
    Schwarz, und weiter?
    Schwarz und kalt und glatt.
    Warum hast dus so eilig?
    Peter schwieg.
    Was ist los mit dir?
    Nichts, sagte Peter. Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich will das Ding hier nicht. Ich will es nicht. Es liegt hier vor mir. Komm und hole es ab.
    Johann schwieg und schloß kurz die Augen. Einen Moment lang wurde ihm kalt. Er gähnte. Weißt du, wieviel Uhr es ist? fragte er dann.
    Du hattest es eilig genug. Peters Stimme war kaum zu vernehmen.
    Und du hast es getan, sagte Johann.
    Peter schwieg.
    Johann versuchte sich Peters Gesicht vorzustellen. Es mißlang. Die Stimme gehörte zu nichts, was er
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