Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
umfällt. Der Wirbel vor den Augen, Häuserfront, Himmel, Schwärze, dazwischen das dumpfe Geräusch, wenn der Kopf aufschlägt. Sehen, wie einer umfällt. Es mußte seltsam aussehen. Er würde Peter anrufen. Peter würde ihm die Waffe besorgen. Er konnte nicht anders. Es blieb sich gleich, wer. Darüber war er hinaus. Jeder war gut dafür. Für einen Moment Wahrhaftigkeit. Jeder war reif. Es war Zeit.
    Da war der Lausitzer Platz mit der hohen, braunroten, versiegelten Emmauskirche, deren tote staubige Augen über das Brachland des ehemaligen Güterbahnhofs schweiften, und der Eisengeruch von der Hochbahntrasse und das Donnergerumpel, wenn über der Skalitzer Straße die dottergelben Waggonreihen einander passierten, die eine voller Menschen auf dem Weg in die Stadt, die andere fast leer auf dem Weg zur Endstation; da war die Eisenbahnmarkthalle mit dem Licht, das durch die Fenster im Dach fiel und dieEisenträger kupfern färbte, und unten die Farben der gewachsten Früchte, das Gelb der Käse, das Rosa der Schinken, der Geruch nach Fisch, Bratwürsten, Kaffee und Waschmitteln und das Meeresrauschen der Stimmen und schleppende Schritte auf dem Steinboden.
    Es war Zeit. Die Nähe, der Moment voller Leben, wenn er ihn töten würde, irgendeinen, irgendeinen für alle, gewiß keinen Repräsentanten, sie waren ja alle Repräsentanten. Wofür? Für etwas, das er erkennen und auslöschen würde in einem einzigen Moment. Sehen, wie einer umfällt. Die Gesichter der anderen. Peter würde ihm die Waffe schnell besorgen. Er mußte. Johann wußte, daß er es tun würde. Er hatte keine Wahl.
    Da war die winddurchfegte Leere der Köpenicker Straße mit Autowracks, die an den Kantsteinen verrotteten, und fliegendem Butterbrotpapier, aufgehalten von den alufarbenen Gittern, die Spielplätze umzäunten, mit den zweisprachigen Verbotsschildern, den gefrorenen Sandhaufen einer Baustelle und den brettervernagelten Fenstern verlassener Häuser; da war die Pfuelstraße, schmal und hoch, als wolle sie nicht enden, grau und am nahen Horizont die Spree und das Gebein der Mauer und das Hämmern aus der Werkstatt und am Ende der Innenhof, nach der Wasserseite offen, und der Fluß stählern und die Möwen auf silbernen und gläsernen Schollen, die, Teile eines geborstenen Ganzen, schwankend in der Strömung trieben, und das tuckernde Patrouillenbötchen am anderen Ufer vor dem bleichen steinernen Band, hinter dem das Röhren herunterschaltender Lastwagen dröhnte, und nach Nordwesten, dem Flußlauf nach, der Turm mit der dunklen undurchsichtigen Kugel und hinter den Fenstern der Häuser, die zum Wasser gingen, ein großer Raum, ein Herd, auf dem eine Kaffeekanne stand.
    Es war Zeit. Einer. Jeder. Keine Provokation. Kein Haß. Kein Ziel. Kein Sinn. Nur Veränderung. Wenn er umfallenwürde. Der Mensch. Der Moment der Nähe in den Augen. Von Liebe. Dankbarkeit. Ende. Der Knall. Jener dort. Irgendeiner. Aus weiter Entfernung sah er, wie die Form der Kanne unverändert bleiben würde, während die des Lebendigen daneben wechselte. Das Haus blieb. Das Haus aus kühlem Stein.
    Da war die baumbewachsene Promenade zwischen diesem Haus und der geschlossenen Oberbaumbrücke mit den Rettungsringen und dem Warnschild: Nicht die Uferböschung betreten – Lebensgefahr, da waren die zwei Angler mit ihren Plastikeimern, die langen Ruten hingen weit in den Fluß hinein; da war der Landwehrkanal, der das Ende der Welt markierte mit der bunten Wandzeitung der Mauer, und dann die zugige Görlitzer Straße, an deren Beginn gefrorene Möbel und vermodernde Teppiche auf die Sperrmüllabfuhr warteten, die schlitternden Kinder auf den vereisten Wiesen, die in den ausgefahrenen Spuren der verschneiten Kieshügel noch eine und noch eine letzte Schlittenabfahrt zu erzwingen versuchten.
    Da war das hallende Poch, Poch, Poch der Schritte in der schwarzen feuchten Unterführung, die hinüber zur Wiener Straße führte, und der Muffgeruch, der aus den Kellerlöchern der beiden Ramschläden heraufkam; da war das Linckeufer und wieder der Kanal, eine graugrüne Eisfläche hinter dem Gazeschleier nackter Weidenzweige, auf der watschelnde Enten kreischten, Bläßhühner krähten, die von gleitenden Schwänen im Tiefflug gestreift wurde, denen elegante Schatten folgten.
    Da war der Kottbusser Damm, auf dem der Verkehr jetzt floß im vollerwachten Tag, und der Platz, voller Menschen, die sich zwischen den rollenden hupenden Autos bewegten, und das Stahlgerippe bebte von den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher